Autsch! Dieses Bild hat das Arbeitsministerium von Zukunft der Arbeit?

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wirbt seit dem 4. Mai 2017 in den Kinos mit zwei Werbespots für die Diskussion rund um die Zukunft der Arbeit. Ziel ist es, „auf Basis des Leitbilds „Guter Arbeit“ vorausschauend die sozialen Bedingungen und Spielregeln der künftigen Arbeitsgesellschaft zu thematisieren und mitzugestalten.“ Bisher sind zwei Werbefilme online, die ich Ihnen heute vorstellen möchte. Ein wie ich finde fragwürdiger Blick auf die Zukunft der Arbeit: Mit einem unterbelichteten Chef, Rollen-Klischees und mangelnder Augenhöhe. Doch sehen Sie selbst …

Werbespot 1: Was macht eigentlich der Dino im Fahrstuhl?

(Link: https://www.youtube.com/watch?v=H4eQW3qkcP4)

Werbespot 2: Heute schon für den Arbeitsmarkt von morgen qualifizieren

(Link: https://www.youtube.com/watch?v=8e4xyg7lG48)

5 Botschaften von gestern für die Arbeitswelt von morgen

Botschaft 1: Es wird weiterhin Chefs geben

Beide Filme zeigen einen Mitarbeiter (m/w) und einen Chef. Aha, es wird also weiter Chefs geben. Das ist ja schließlich nicht selbstverständlich, sprechen wir doch seit Jahren über hierarchielose Organisationen, demokratische Führung oder agile, selbstorganisierende Teams. Aus Sicht der Werbespots wird sich also an Führung und Zusammenarbeit in Organisationen nicht großartig etwas verändern. Chefs führen Mitarbeiter. Völlig normal, oder?

Botschaft 2: Chefs sind digital überfordert

Mit #ichschaltmichrein sollen Formen des mobilen Arbeitens beworben werden. Doch wir sehen in Film 1 einen Chef, der offensichtlich noch nie etwas von Telefonkonferenz oder Video-Call gehört hat. Reinschalten in ein Meeting? – Unmöglich! Gleiche Story in Film 2: Die Maschine per App steuern? – Ach was! Der unterbelichtete, dumme Chef, der keine Ahnung von Technik hat. Na klar, was sonst?

Botschaft 3: Kumpelei statt Kommunikation auf Augenhöhe

Es soll cool klingen, doch „Kröselmann“ ist selbst in diesem alten Chef-Mitarbeiter-Verhältnis immer noch „Herr Kröselmann“, zumindest wenn wir im Bild des seriösen Chefs mit Krawatte und Anzug bleiben. Kein Zeichen von Augenhöhe, sondern gespielte Kumpelei. Immerhin gibt „Kröselmann“ seinem Chef nonverbal zu verstehen, er solle den Weg aus dem Aufzug frei machen. Etwa ein erstes Aufbegehren gegen die Hierarchie?

Botschaft 4: Vereinbarung von Familie und Beruf enden im Stress

Wir sehen in Film 1 einen gestressten jungen Vater, der versucht, Job und Kindergeburtstag unter einen Hut zu bekommen. Eierlaufen und Plastik-Dinos zum Kindergeburtstag – nur ein weiteres Signal der Filmemacher, wie Old-School New Work tatsächlich in Zukunft sein wird? Warum sehen wir keinen Familienvater, der entspannt Beruf und Privatleben verbindet?

Botschaft 5: Väter organisieren Kindergeburtstage, Frauen programmieren Apps

Na klar! müsste eigentlich die Botschaft für die Zukunft der Arbeit sein. Doch stattdessen liegt der inhaltliche Fokus beider Filme auf den scheinbar ungewöhnlichen Rollenbildern. Oder warum ist der Chef so erstaunt, dass sich seine Mitarbeiterin in App-Entwicklung auskennt? Schließlich hat er selbst sie auf die Weiterbildung geschickt – der Klassiker! Der Schluss von Film 1 „So einen Vater hätte ich auch gerne gehabt“ setzt der Zukunft der Arbeit schließlich das Sahnehäubchen auf. Blinzelt da etwa eine Spur von Empathie des Chefs durch?

Was soll das? – Die ersten Reaktionen

Die ersten Reaktionen auf die beiden bisher veröffentlichten Werbespots des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigen überwiegend kritische Töne und Unverständnis:

Ich verfolge schon länger die Diskussion um Arbeiten 4.0 als Initiative der Bundesregierung. Es ist wichtig, dass sich Politik, Wirtschaft, Verbände und andere Institutionen mit Zukunftsthemen befassen. Austausch und Diskussion sind nützlich, um Szenarien zu denken, Zukunft zu bewerten und Maßnahmen zur Förderung des Wandels zu beschließen.

Das Weißbuch zum aktuellen Stand der Diskussion wirft viele wichtige Themen auf und skizziert mögliche Lösungen. Doch diese beiden Filme lassen mich wirklich staunen. Zwei Fragen beschäftigen mich:

  1. Welches Bild von Zukunft der Arbeit erzeugen die Filme in den Köpfen der Kinobesucher? Ich erlebe im Coaching täglich frustrierte Angestellte, die sich über zunehmenden Stress am Arbeitsplatz und unfähige Chefs aufregen. Die Werbespots bestätigen ihr Bild und – noch schlimmer – sie prophezeien, dass sich daran auch so schnell nichts ändern wird. Denn #ichschaltmichrein mit 24/7-Erreichbarkeit ist für die Masse der Angestellten heute bereits stärker lästiges Leid als willkommene Freiheit.
  2. Welcher Arbeiter, Angestellte, Chef oder Top-Manager geht nach dem Kinobesuch auf arbeitenviernull.de und liest sich das Weißbuch durch? Werbung für die Diskussion rund um die Zukunft der Arbeit muss aus meiner Sicht echte Neugierde in der Breite der Bevölkerung wecken, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft fördern und gleichzeitig die Angst vor dem Ungetüm Digitalisierung nehmen. Ich habe meine Zweifel, dass die Werbespots in den Kinos ein wirksamer Impuls zur Diskussion über Veränderung unserer Arbeitswelt in der Gesellschaft sind.

Auch wenn Kröselmann und sein riesiger Dino witzig sind (sind sie das wirklich?) und die Frau mit ihrem iPad es ihrem unterbelichtetem Chef mal so richtig gezeigt hat, empfinde ich das Bild von Zukunft der Arbeit, welches hier gezeichnet wird, eher als beängstigenden Rückschritt und nicht als neugierige Lust auf das, wie wir alle Arbeit in Zukunft mitgestalten können.

Oder habe ich etwa die echte Botschaft der „Werbung“ nicht verstanden? Dann trage ich mit diesem Artikel jedenfalls zur Diskussion bei – auch ein Ergebnis ;-)

Wie sehen Sie die Werbespots? Können Sie sich mit den Personen identifizieren? Welches Gefühl erzeugen sie bei Ihnen für die Zukunft der Arbeit und was ist Ihr Bild, wie Sie sich Arbeit in Zukunft vorstellen?

Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag in Ihren Netzwerken teilen.

Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 17 Kommentare
  1. Ich frag mich: Welche Agentur berät eine Bundesregierung, wenn solch eine verstörende Kampagne rauskommt?
    Ansonsten: #Arbeitenviernull geht an der betrieblichen und alltäglichen Realität völlig vorbei.

    1. Stimm Lars, das war auch mein erster Gedanke. Vielleicht die Macher von Stromberg? ;-)
      Verstehe ich Deine Kritik richtig, dass aus Deiner Sicht die politische Debatte insgesamt an der Realität vorbei geht?

  2. Was soll man von einem Ministerium unter der Führung einer linken, gewerkschaftshörigen Sozialdemokratin auch anderes erwarten. Die Verteilung von Morgengaben für die Unterstützung der Monopolgewerkschaften bei den kommenden Wahlen geht weiter. Hat bloß bisher nix genutzt.
    Vorwärts wir gehen zurück zum Klassenkampf der 70er und 80er!

  3. Botschaft 6: Die Männer tragen auch in Zukunft spießige Anzüge aus den 1970er Jahren, die arbeitenden Frauen sehen durch ihre Frisur und Kleidung streng aus und die Behördengebäude werden anscheinend auch in Zukunft nicht renoviert bzw. modernisiert, denn da fährt man immer noch in hässlichen Fahrstühlen und arbeitet in hässlichen Fluren.

    Argh, wer immer dazu sein Okay gegeben hat, gehört – ach, was weiß ich…

    Aber es passt zu dem Bild, das viele Politiker*innen in Veranstaltungen und Diskussionsrunden zum Thema abgeben. Mir wird immer Angst und Bange, wenn ich daran denke, dass diese Leute richtungsweisende Entscheidungen treffen müssen. Normalerweise bin ich überhaupt nicht politikverdrossen oder frustriert, aber bei der rasanten Entwicklung in der Arbeitswelt sehe ich doch das eine oder andere deutlich kritischer als sonst.

    1. Hallo Frau Numberger,
      danke für Ihre Ergänzung um Botschaft 6, die Sie sehr treffend beschreiben. So genau hatte ich mir den Aufzug und die Flure gar nicht angesehen, ich war zu sehr abgelenkt von den handelnden Personen und dem Dino ;-)
      Viele Grüße,
      Bernd Slaghuis

  4. Das Weißbuch ist auf jeden Fall vielschichtiger als die beiden Kinospots. Andonsten gehen die Ideen von Frau Nshles und dem Ministerium an den wirklichen Herausforderungen vorbei. Im Ministerium wird noch das Angestelltenverhältnis als höchstes Gut gesehen, was es in dieser Masse wahrscheinlich nicht mehr geben wird. Werden stattdessen Ideen, Projekte und Gründungen gefördert? Nein, es wird eher überlegt, wie sich Unternehmer, Arbeitgeber und Selbständige noch mehr gängeln lassen. Das ist weder sozial noch – in aller Konsequenz – demokratisch.

  5. Vielen Dank für den Beitrag, mir waren diese Spots bisher nicht bekannt. Auf den ersten Blick wirken sie vielleicht „ganz nett“ (mehr aber auch nicht), aber beim genaueren Hinsehen und dem Betrachten der angesprochenen Punkte ist da wirklich einiges schief gelaufen. Ich glaube auch kaum, dass irgendeiner von den beiden dazu motivieren kann, besagtes Weißbuch zu lesen. Hier wären definitiv konkretere Maßnahmen, die die Menschen wirklich erreichen, sinnvoller gewesen.

  6. Ich finde die Filme charmant und sehe sie eher als eine Brück zwischen alter und neuer Arbeit. Man muss die Leute doch mitnehmen, oder nicht? Es geht doch nicht darum, Idealzustände zu zeigen, sondern Schritt für Schritt auch die bestehenden (wohl eher noch sehr traditionell organisierten) Unternehmen behutsam auf die Zukunft vorzubereiten. Es ist ein Anfang – und zwar ein guter.

      1. Wer blickt denn hier herab? Es geht doch hier gar nicht darum, wer hier wen wie abhängen könnte, sondern was für ein Bild die Politiker*innen von der Zukunft haben, was dann ja Auswirkungen auf entsprechende Steuerungsmaßnahmen hat. Wenn Politiker*innen die Entwicklungen der Zukunft nicht erkennen oder ignorieren, folglich falsche Entscheidungen treffen und als Resultat dann noch mehr Menschen „weiter hinten“ bleiben, heißt es dann: „Warum hat uns niemand gewarnt?“

        Ich denke da z.B. an die Bildungspolitik, die entscheidenden Einfluss darauf hat, wie unsere Kinder zukünftig in der Arbeitswelt klarkommen. Da muss sich dringend etwas tun!

        Wir sollten aufhören, immer noch über das „ob“ zu diskutieren, wenn es um KI, Digitalisierung, Automation etc geht, sondern endlich mal das „wie“ in Angriff nehmen…

  7. Nachtrag:

    Ich habe heute den neuesten Podcast von Deutschlandfunk Hintergrund gehört, in dem es um Roboterethik geht (http://www.deutschlandfunk.de/roboterethik-die-maschinen-werden-autonom.724.de.html?dram:article_id=385826). Anscheinend beschäftigt sich die EU-Kommission wenigstens mit den tatsächlich relevanten Themen zur Zukunft der Arbeit. Da geht es um Pflegeroboter, autonom fahrende Lkw, die Fahrer überflüssig werden lassen usw.

    Ich finde diese Phase total spannend, aber auch anstrengend: Jetzt zeigt sich, wie der Mensch mit dem selbst verursachten rasanten technologischen Fortschritt umgeht. Die einen nutzen die Gelegenheiten und diskutieren auf hohem Niveau über Zukunftsvisionen – und die anderen wünschen sich z.B. die schlechte, alte Kohleindustrie zurück. Wenn ich solch einen Podcast gehört habe und mir dann die Menschen so auf der Straße angucke, spüre ich instinktiv die extremen Pole der heutigen Zeit und frage mich, ob die Gesellschaft dazwischen zerrissen wird oder ob wir die Kurve kriegen.

    1. Das Problem ist doch, dass die Treiber des technischen Fortschritts die negativen Auswirkungen ihres Tuns eher weniger zu spüren bekommen. Die Ingenieure der LKW-Hersteller entwickeln den autonom fahrenden LKW. Die negativen Folgen in Form des Arbeitsplatzverlustes trägt aber nicht der Ingenieur sonder der LKW-Fahrer, der keinen Einfluss auf die Entwicklung nehmen kann.

      1. Umgekehrt wird sozusagen ein Schuh draus. Ich habe mich letztens mit einem Vertreter eines Hamburger Verbands im Straßengüterverkehr unterhalten und der klagte mir, dass die Spediteure händeringend nach Fahrern suchen und niemanden finden, weil der Job so unattraktiv ist. Und damit ist bei Weitem nicht nur die Bezahlung gemeint, sondern auch Arbeitszeit, Arbeitsumgebung etc. Also MÜSSEN die Ingenieure selbstfahrende Lkw entwickeln, damit wir auch schön weiter unsere Billigprodukte im Supermarkt kaufen können, die von weit her rangekarrt wurden…

  8. Ich glaube, wenn du dein Leben in der Politik verbringst, irgendwas um 6.000 EUR herum im Monat bekommst und weißt, du wirst nachher weich fallen, macht das was mit dir. Als erstes leidet sehr wahrscheinlich die „kreative Witterung“, der Hunger und das Gespür, sich tatsächlich etwas Neues (also die Zukunft!) überhaupt vorzustellen.

    Paaren wir das mit dem Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Feindbild, technologischer Unbedarftheit und einer Werbeagentur ohne Rückgrat: ét voila, fertig ist der Klischee-Werbespot! Schade ums Geld.

    1. Nicht zu vergessen das „Yes Minister“-Prinzip. Allerdings halte ich Frau Nahles was das angeht für eine Überzeugungstäterin.

  9. Habe mir die Videos angesehen, den Beitrag von Bernd und Eure Kommentare gelesen.

    Ich finde die Clips per se nicht so schlimm. Finde sie gut gemacht und doch ganz witzig.

    Schlimm ist, dass sie eine geglaubte Geschichte erzählen, einen von offenbar vielen, zu vielen angehängten Mythos spiegeln. Es ist die hier völlig zu Recht kritisierte, alte Geschichte der Arbeit als Fron.

    Am schlimmsten ist, und das wird hier auch zu Recht bemerkt, dass das Ministerium den Mythos des Frons bedient, und noch dazu den Eindruck erwecken möchte, die Politik sei hier die Speerspitze der Veränderung. Aber darin zeigt sich deren Schwäche wiederum, und das macht den Mythos sichtbar, die Botschaften angreifbar.

    Und: Es muss offenbar immer erst weh tun, bevor sich etwas verändert.

    Meine Conclusio: Erstmal die Kirche im Dorf lassen. Es werden ohnehin nur solche Unternehmen, besser: Unternehmungen, überleben, die die Dynamiken für sich zu nutzen wissen, ganz unabhängig von 60er Jahre Aufzügen, 70er Jahre Anzügen und Kindergeburtstagen mit „coolen“ Vätern.

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