Work-Life Balance: Warum sie nicht mehr funktioniert

Stress im Job hat oft auch Auswirkungen auf das Privatleben. Gerät das Private aus den Fugen oder kommt es zu kurz, belastet das auch den Job. Und wenn die Zeit im Büro nicht mehr ausreicht, um die Aufgaben zu erledigen, dann wird auch schnell und zunehmend regelmäßig der Feierabend zum Büro umfunktioniert. Die Folge: Das Privatleben bleibt noch mehr auf der Strecke. Ein Teufelskreislauf? Doch wo anfangen, um die vielbeschworene Work-Life Balance wieder herzustellen? An welchen Stellschrauben können Sie leichter oder schneller drehen, damit wieder mehr Freude an der Arbeit und auch im Privaten vorherrscht?

Job-Themen belasten vordergründig.

Fast alle meine Klienten kommen mit einem beruflichen Anliegen zu mir als Karriere-Coach. Viele von ihnen sind auf der Suche nach einer neuen beruflichen Orientierung. »Wo soll die Reise hingehen? Was möchte ich beruflich wirklich?« Wir sprechen dabei viel über die Werte und Ziele im Beruf und im Leben, über die Stärken und Fähigkeiten und werfen auch einen Blick auf die Blockaden, die daran hindern, den Weg konsequent zu verfolgen. Wir arbeiten heraus, was in der Vergangenheit Freude gemacht oder leicht gefallen ist und was bisher im Leben Kraft und Halt gegeben hat. Doch spätestens wenn es um die Ziele im Leben geht, rücken die beruflichen Themen in den weiten Hintergrund.

Vielmehr tauchen Ziele wie zum Beispiel reisen, eine Familie gründen, den Kindern eine gute Erziehung mitgeben, Sprachen lernen, Gesundheit oder einfach »Zeit für mich haben« auf. Natürlich gibt es fast immer auch berufliche Ziele, die sich bei vielen unter dem Attribut »etwas Sinnvolles tun« subsumieren lassen. Ziele, wie etwa »Ich möchte in 2 Jahren Führungskraft sein« oder »Ich möchte 100 Tsd. Euro im Jahr verdienen« werden so gut wie nie genannt. Ich sammele mit meinen Klienten alle ihre Ziele und schaue dann mit ihnen gemeinsam aus einer anderen Perspektive darauf. Fast allen fällt auf, dass das Thema Beruf – weswegen Sie ja eigentlich zu mir gekommen waren – gar nicht mehr den Schwerpunkt bildet – zumindest nicht mengenmäßig. Das, was sie in ihrem Leben noch erreichen möchten, spielt sich größtenteils auf der privaten Seite ab.

Geld verdienen für privates Glück?

Doch eines ist klar: Alles das wird nicht möglich sein, ohne Geld zu verdienen – oder den Lottogewinn ;-) Und hier kommt der Beruf wieder ins Spiel. Doch ist der Job nur dafür da, das Geld zu verdienen, um die privaten Ziele im Leben zu verwirklichen? Das widerspricht ganz klar dem Wunsch und dem Anspruch insbesondere vieler junger Menschen – Stichwort Generation Y – den Sinn und die eigene Erfüllung im Beruf zu wirklichen. Welche Stellschraube lässt sich denn nun leichter oder schneller drehen?

Gerade Menschen, die aktuell in einem Angestelltenverhältnis sind und deren Werte im Beruf zumindest noch ansatzweise erfüllt sind, stellen sich diese Frage. Welches ist der beste Weg, zusätzliche Energie zu investieren, um den eigenen Zielen näher zu kommen? Mehr Zufriedenheit im Job und an den beruflichen Zielen arbeiten, um in Zukunft eine bessere Basis für all die privaten Ziele zu schaffen? Dafür vielleicht im Privaten auch für eine gewisse Zeit zurückstecken? Oder doch den momentanen »Ab-und-zu-Frust« im Büro aushalten, die Zähne zusammenbeißen und die privaten Ziele konsequenter verwirklichen?

Kein Entweder-oder-Denken.

Ich glaube, es sollte hier kein Entweder-Oder-Kalkül geben. Dafür sind heute beide Lebensbereiche zu eng miteinander verbunden. Die Lösung, sich auf einen Lebensbereich zu konzentrieren hat (wahrscheinlich) zur Folge, dass im anderen Bereich die Unzufriedenheit zunimmt – mit Wechselwirkungen auf den fokussierten Bereich. Denken Sie vielmehr einmal darüber nach, was Ihnen täglich Energie gibt und was Ihnen Energie nimmt. Auch hier wird es wahrscheinlich Energielieferanten und auch -räuber sowohl auf der Arbeit als auch im Privaten geben. Versuchen Sie, diese in beiden Bereichen zu identifizieren und überlegen Sie sich, was Sie gegen die Energieräuber tun können und wie sie die Energiegeber sowohl im Beruf als auch privat stärken und wertschätzen können.

Work-Life-Balance ist out!

Wer heute glaubt, Work und Life voneinander trennen zu können und beides in eine Balance zu bringen, denkt in Strukturen, Technologien und Systemen von gestern. Wer von Ihnen checkt nicht seine Mails im Feierabend oder denkt über das letzte Meeting oder die Termine des nächsten Tages zu Hause nach? Ich sage nicht, dass ich das gut finde. Ganz im Gegenteil. Ich bin ein klarer Verfechter davon, selbst Verantwortung für seinen Feierabend zu übernehmen. Es geht aus meiner Sicht weniger um eine Balance zwischen Privat ODER Beruf, sondern um ein Sowohl-als-auch. Ich habe jetzt schon mehrfach den Begriff der »Work-Life-Quality« oder »Work-Life-Romance«gelesen und finde diese neuen Bilder sehr schön. Auch die Idee von Bettina Sturm eines Kontos »Lebenslust«, auf das wir gleichermaßen im Beruf als auch im Privaten einzahlen, finde ich klasse.

Lebensqualität ist das Ziel.

Zum einen steckt hier aus meiner Perspektive der Gedanke dahinter, dass es nichts mehr auszubalancieren gibt – nach dem Motto, die Arbeit ist schlecht und muss durch den Gegenpol Privatleben ausgeglichen werden. Zum anderen spiegelt sich für mich hier der Trend nach mehr Inhalt im Sinne von Qualität der Arbeit aber auch des Privatlebens wider. Zentral für eine gute Lebensqualität ist ein eigenes Bewusstsein darüber, was uns im Leben – privat und beruflich – wichtig ist.  Die konsequente Verfolgung und Erfüllung dieser Werte ist maßgeblich dafür verantwortlich, ob wir glücklich sind im Leben. Werte, die im beruflichen Kontext nicht ausreichend erfüllt werden, können wir möglicherweise im privaten Bereich kompensieren – und umgekehrt. Wer es schafft, sein Denken und Handeln entsprechend seiner Werte und Ziele im Beruf UND im Privatleben auszurichten, wird zu Ausgeglichenheit und Zufriedenheit in beiden Lebensbereichen finden.


Lesen Sie hierzu auch meine Kolumne auf XING:

Mehr Kopfarbeit, weniger Arbeitszeit? Warum die 4-Tage-Woche Unsinn ist


 

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare
  1. Ich persönlich zähle mich noch zu der „Generation Y“ und für mich gibt es keine schlimmere Vorstellung, als irgendetwas ausgleichen zu müssen, sei es das Berufsleben oder das Privatleben.

    Wenn ich liebe, was ich tue, brauche ich keinen Ausgleich.
    Kein Kind kommt aus dem Kindergarten und sagt „Mama, der Kindergarten war so anstrengend, ich spiele zu Hause nicht mehr, weil ich einen Ausgleich brauche.“

    Das mag vielleicht naiv sein, aber wenn ich mich in meiner Arbeit nicht verwirklichen kann, ist es die falsche Arbeit für mich.

  2. Hallo Dr. Slaghuis,

    Ich bin’s noch mal. Habe mich noch etwas durch Ihr Archiv geklickt und hier direkt den nächsten packenden Blogbeitrag gefunden, zu dem ich ebenfalls gerne noch kurz meinen „Senf“ abgeben möchte. Auch mit diesem Thema habe ich mich mal in einem eigenen Beitrag befasst (https://ausbilderschein24.de/work-life-balance-optimieren/), wobei mir auffällt, dass wir hier eine nahezu identische Auffassung vertreten.

    Auch ich kann den Begriff „Work-Life-Balance“ nur schwer so stehen lassen, da es so anmutet, als seien „Work“ und „Life“ zwei Gegensatzpaare, die es nun auszugleichen gelte. Was für ein Unfug! Erst recht, wenn man bedenkt, dass Arbeit nun einmal einen Großteil des Lebens ausmacht. Gewiss macht es krank, wenn man keine Freizeit mehr hat, was sicher im Zuge der Digitalisierung und Smartphones, auf denen Geschäfts-E-mails eingehen, ein Problem sein kann, mir gefällt da allerdings sehr gut Ihr Ansatz, einfach selbst die Verantwortung für den eigenen Feierabend zu übernehmen. Deckt sich grob mit den Tipps, die ich in meinem Blogbeitrag angerissen habe, obschon mir diese Formulierung von Ihnen fast noch besser gefällt. Vielleicht darf ich sie klauen!?

    Herzliche Grüße
    D. Koch

  3. 1. Wer liebt, was er tut, wird im Leben niemals arbeiten!
    2.Mein Lebensmotto – Bestandteil meiner Visitenkarte:
    „I live, what I love, I Iove, what I preache, I preache, what I prctise,
    I practise, what I live,….“.

  4. Ich finde deinen Vorschlag von Work-Life-Quality sehr wirksam. Statt eine Balance zwischen Privat oder Beruf, würde ein „Sowohl-als-auch“ auf jeden Fall sinnvoller sein! Sehr interessante Perspektive über das Thema Work-Life-Balance. Danke!

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