Entscheidungen: Wer die Wahl hat, hat die Qual?

Heute ist Bundestagswahl. 61,8 Millionen Wahlberechtigte können ihre Stimmen abgeben, um die Politik der nächsten vier Jahre in Deutschland mitzubestimmen. Ein wertvolles Recht unserer Demokratie. Verschiedene Alternativen zu bewerten und schließlich eine Entscheidung zu treffen ist für viele Menschen jedoch auch eine Herausforderung. Sich entscheiden bedeutet, sich auf eine Richtung festzulegen und dabei andere Möglichkeiten und den vielleicht hiermit einhergehenden Nutzen auszuschließen.

Die Parteien versuchen seit Wochen, uns die Entscheidung für unsere Kreuzchen leichter zu machen. Kanzler-Duelle, Wahl-O-Mat und laute Talk-Runden mit den immer gleichen Gesichtern der ersten Riege jeder Partei, die senderübergreifend sich und ihre Wahlprogramme zur Schau stellen und uns versprechen, dass es jedem einzelnen im Land, egal ob Arbeitsloser oder Unternehmer nach der Wahl besser gehen wird, wenn wir sie wählen. Als ich gerade vor einer Stunde meine beiden Stimmen abgegeben hatte und der Zettel in der Wahlurne versenkt war, kam ein kurzer Gedanke hoch: Ob das wohl die richtige Entscheidung war? Aber ich hatte mir doch vorher Gedanken gemacht und der Wahl-O-Mat hatte noch heute morgen auch genau das Ergebnis ausgespuckt, was ich wählen wollte. Oder hätte ich mich vielleicht doch für eine andere, junge und aufstrebende Partei mit klareren Botschaften einsetzen sollen, bei der ich aber mit hoher Sicherheit sagen kann, dass meine Stimme im Gesamtkontext verloren gewesen wäre? Eine sehr rationale Sichtweise. Forschungen haben gezeigt, dass die Kombination aus Gefühl und Verstand zu Entscheidungen führt, die wir als gut beurteilen. Insofern war auch eine ganze Menge Sympathie bei meiner Entscheidung dabei und es hat mich wie bei den Wahlen zuvor doch schließlich glücklich gemacht, von meinem Wahlrecht Gebrauch gemacht zu haben, auch wenn ich nur einer von geschätzten 61,8 Millionen bin (am Rande: warum wird das geschätzt? Kann man die Postkarten mit der Wahlbenachrichtigung nicht zählen? Was machen die Wahlhelfer, wenn mein Name nicht in der Liste steht?).

Wenn wir die Wahl zwischen zwei oder mehr Alternativen haben, heißt das auch immer, dass wir uns gegen etwas entscheiden müssen. Nicht umsonst heißt es „Wer die Wahl hat, hat die Qual.“ Wir können heute so viel in unserem Leben entscheiden wie nie zuvor, die Auswahl an Möglichkeiten steigt zunehmend. Psychologen sprechen von der „Tyrannei der Wahl“ und beziffern die Anzahl auf zwischen 20.000 und 100.000 Entscheidungen tagtäglich. Viele davon, etwa 90%, sind der Routine zuzuschreiben, weil wir es zum Beispiel gewohnt sind, an einer bestimmten Ampel auf dem Weg zur Arbeit immer rechts abzubiegen.

Welche Entscheidungen treffen Sie während eines Tages bewusst und was tun Sie, weil Sie es immer schon so getan haben oder weil es die anderen so von Ihnen erwarten? Wie gehen Sie mit Ihrem persönlichen Wahlrecht im Alltag um? Lieben Sie die Gewohnheit und freuen sich – wie ich – jeden Morgen auf Ihr Nutella-Brot? Oder gefällt Ihnen die Abwechslung beim Frühstück und Sie entscheiden sich für einen von zehn möglichen Brotaufstrichen? Beides ist in Ordnung, denn wir jammern dann weder über die Eintönigkeit auf unserem Frühstücksbrettchen noch darüber, dass wir morgens wichtige 5 Minuten vor dem Kühlschrank verlieren, weil wir uns nicht für eine Marmeladensorte entscheiden konnten.

Viele Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen, sind jedoch weitreichender als ein Brotaufstrich. Die Berufswahl, der Wohnort, die Auswahl der Partnerin/des Partners, die passenden Worte zu besonderen Ereignissen. Die „richtige“ Entscheidung zu treffen ist ein häufiges Anliegen in den Coachings mit meinen Klienten. Oftmals wurden Entscheidung über Jahre aufgeschoben, weil sie Angst vor den möglichen Konsequenzen oder den mit der Entscheidung einhergehenden Risiken haben. Weitermachen wie bisher und sich treiben lassen in der Gemengelage aus Erwartungen der anderen und eigener Gewohnheit ist häufig die Devise. Gerne lassen wir auch andere für uns die wichtigen Entscheidungen treffen, dann kennen wir auch einen Schuldigen, wenn es schiefgeht. Ein bequemes Leben, denn selbst Entscheidungen für sein Leben zu treffen kostet Energie und ist hoch riskant! Wirklich …?

Ich möchte Ihnen ein Experiment vorschlagen: Achten Sie einmal über einen bestimmten Zeitraum bewusst darauf, was Sie tun, wie Sie darüber denken, ob Sie es mit Spaß oder mit Ärger und Frust tun und wessen Entscheidung dies ist. Das kann ein Tag, eine Woche oder auch ein Monat sein, vielleicht wird dies auch ein Experiment für Ihr ganzes Leben. Dies soll keine Rebellion gegen Ihren Chef werden und auch nicht bedeuten, dass Sie jeden Handgriff kritisch hinterfragen sollen. Vielmehr soll es ein Bewusstsein dafür schaffen, was Ihnen in Ihrem Leben und im Beruf wichtig ist, ob sie danach handeln und, dass Sie es in der Hand haben, darüber zu entscheiden, was und wie Sie etwas tun. Die Möglichkeiten, selbst über unser Handeln zu entscheiden, sind oft größer als wir denken.

Wenn Sie unzufrieden sind mit dem, was Sie tun, können Sie sich entscheiden, die Zähne zusammenzubeißen und es auszuhalten (weil hiermit vielleicht auch ein Nutzen für Sie verbunden ist, der es rechtfertigt) oder Sie können etwas verändern. Beides ist eine bewusste Entscheidung. Wenn Sie von einem Arbeitsauftrag Ihres Chefs nicht überzeugt sind, haben Sie die Entscheidung, den Auftrag nach dem Motto Augen zu und durch auszuführen oder Sie können ihm (oder ihr) Ihre Sicht auf die Dinge erläutern und so vielleicht zu einer aus beiden Perspektiven besseren Lösung kommen. Sie können sich auch für ein „Nein, das mache ich nicht“ entscheiden, wenn Sie mit den möglichen Konsequenzen leben können.

Vielleicht ist es zunächst anstrengend, dieses Experiment durchzuhalten und bewusster durchs Leben zu gehen. Sie werden aber wahrscheinlich nach einiger Zeit feststellen, dass es die kleinen, bewussten Veränderungen sind, die Sie aus Ihrer gewohnten und sicheren Komfortzone herausführen und neue Möglichkeiten in Ihrem Leben eröffnen. Sie haben jeden Tag die Wahl, sich für einen Weg und kleine oder auch manchmal große Schritte auf diesem Weg in Ihrem Leben zu entscheiden. Es wird sich nicht jede Entscheidung im Nachhinein als die Beste herausstellen, aber auch dies zu wissen verleiht ein gewisses Maß an Gelassenheit.

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare
  1. Vielen Dank für diesen Artikel! Er trifft mich voll. Ich stecke grad mitten in einer größeren Veränderung. Es zeichnet sich ab, dass der alte Weg langsam zu Ende geht, der Neue ist jedoch noch nicht vollständig sichtbar. Vor mir stehen größere und kleinere Entscheidungen. Manche sind leicht zu treffen, bei manchen fällt mir die Wahl sehr schwer. Es fehlen mir ein paar bedeutende Elemente. (Wahrscheinlich sind es eh – wie Sie es beschreiben – die Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn die Komfortzone verlassen wird) Doch genau hier kommt noch ein anderer Aspekt – jedenfalls für mich – zum tragen: der richtige Zeitpunkt. Geduld aufbringen, warten und doch achtsam und hellwach beobachten was rundum geschieht, dann entscheiden – und sich nicht mehr umdrehen!
    Ich werde auf jeden Fall Ihr Experiment machen und bin schon gespannt, zu welchen Erkenntnissen ich da komme!

    Liebe Grüße
    Elisabeth

    1. Hallo Elisabeth,

      danke für Ihren Kommentar. Geduld und Achtsamkeit können bei Veränderungen gute Begleiter sein. Einige Menschen lassen sich hetzen oder empfinden es als Druck, endlich eine Entscheidung treffen zu müssen. Gelassenes Bewusstsein für Neues eröffnet oft besser die Möglichkeiten außerhalb der Komfortzone.
      Alles Gute auf Ihrem Weg.

      Liebe Grüße
      Bernd Slaghuis

  2. Wer die Wahl hat, hat die Qual – und wer gewählt hat, quält sich weiter.

    Hallo Herr Dr. Slaghius,

    das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe, an mir selbst und bei anderen. Es ist häufig schwierig genug, eine Entscheidung zu treffen. Ist die Entscheidung dann gefallen, geht die Quälerei bei vielen noch weiter – oder erst richtig los… „War meine Entscheidung richtig? Hätte ich doch lieber…“

    Aus meiner Sicht hilft es, an der eigenen Einstellung gegenüber Entscheidungen zu arbeiten und sich bewusst zu machen: Ob eine Entscheidung richtig ist oder falsch sehe ich sowieso erst im Nachhinein. Eine – gut abgewogene – Entscheidung endlich zu treffen bringt Erleichterung, denn ich komme in Aktion, kann handeln statt zu grübeln. Jetzt ist die Entscheidung getroffen und ich gehe mit ihr um. Zurückblicken lähmt und bremst mich auf meinem Weg…

    Immer wieder spannend, dieses Thema!

    Viele Grüße,
    Mareike Zimmer

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