Wenn Bewerber Unternehmen »grillen«. Ein Blogduett.

Bisher sind Bewerber die, die bei Unternehmen im Vorstellungsgespräch auf dem heißen Stuhl sitzen, wenn es um einen neuen Job geht. Doch Vorsicht. Wir – Bettina Schöbitz und ich – beobachten einen Trend: Der Spieß dreht sich. Fachkräftemangel, GenerationY und demographischer Entwicklung sei Dank. Und mit sinkender Zahl der Kandidaten wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmer und „Bewerber“ künftig ihre Rollen tauschen.

Warum wir das so sehen, erfahren Sie in den zwei Fragen unseres Blogduetts. Hier lesen Sie den Beitrag von Bettina Schöbitz. Sie sind neugierig auf meine Perspektive? Dann klicken Sie hier.

1. Sind Bewerber noch Bewerber?

Ein Bewerber ist – so Wikipedia – eine Person, die sich bei einem Arbeitgeber um Arbeit bemüht. Sei es um einen Arbeitsplatz, einen Praktikumsplatz oder einen Auftrag (als Freiberufler). Damit ist klar: Vom Anschreiben über Lebenslauf, Deckblatt, 3. Seite, Mappe, Foto, Kompetenzprofil, Referenzen und alle diese „gelernten“ Details ist alles Bewerbersache. Doch stimmt das wirklich – noch?

Angebot + Nachfrage – die Wippe kippt…

Noch stimme ich Wikipedia bei dieser Definition zu. NOCH!

Sie wissen sicher: Ein „Markt“ besteht aus Käufern und Verkäufern einer Ware oder Leistung. Das Angebot und die Nachfrage bestimmen dabei den Preis und die „Stärke“ der jeweiligen Partei. Wir unterscheiden zwischen Käufer- und Verkäufermarkt. In den letzten 20 Jahren gab es in Deutschland weniger Arbeitsplätze als Bewerber. Damit waren die Arbeitgeber in der komfortablen Position, dass sie bei minimalem bis gar keinem Aufwand gaaaanz gemütlich auf Bewerber warten – und aus einer Vielzahl auswählen – konnten. Dabei wurden ihrerseits Gehalt/ Lohn (also der „Preis“) und die Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit, Perspektiven und Kündigungsbedingungen nahezu widerstandslos festgelegt.

Frostige Zeiten für Arbeitgeber

Doch das Luxusleben der Arbeitgeber neigt sich dem Ende zu. Langsam nähern sich die geburtenstarken Jahrgänge der Rente, der Nachwuchs wird weniger. Das Angebot sinkt also und schwächt die bequeme Arbeitgeber-Position. Tja und jetzt kommt wieder Wikipedia ins Spiel, denn hier wird es wohl binnen weniger Jahre eine Änderung des Eintrags geben: Die Bewerber um einen Arbeitsplatz werden zu Entscheidern: Bei welchem Unternehmen will ich arbeiten? Und die Arbeitgeber – tja, die werden quasi zu „Bewerbern“.

Employer Branding

Das Ganze hat schon einen Namen: Employer Branding. Es geht für Arbeitgeber darum, sich als „Marke“ zu positionieren. Also so, dass das eigene Unternehmen sich spannend, anziehend und zukunftsträchtig präsentiert. Oft steckt hinter dieser – von wenigen Unternehmen bereits gelebten – Praxis nur heiße Luft. Oftmals allerdings auch eine echte Strategie. Dann nämlich, wenn Arbeitgeber verstanden haben, dass sie bei den Arbeitnehmern der Zukunft mit leeren Versprechen und Worthülsen ins Leere laufen.

Und dass Arbeitnehmer der Zukunft sich möglicherweise ebenso illoyal gegenüber Arbeitgebern verhalten werden, wie es die Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren mit ihren Mitarbeitern gemacht haben. Was wir da erleben, hat in manchen Branchen Züge eines modernen Sklavenhandels. Selbst arrivierte Firmen, wie beispielsweise in der Bank- und Versicherungsbranche, haben munter Unternehmenszweige oder gar sich selbst „verkauft“. Und die Mitarbeiter solange im Unklaren gelassen, bis diese es aus der Presse erfuhren. Oder gleich die Kündigung kurz vor Weihnachten „als Überraschungsgeschenk“ erhielten.

Der Spieß wird umgedreht

Auf einmal bleiben bei Unternehmen die Bewerber aus. Niemand will mehr für die arbeiten, die in der Vergangenheit durch Fehlverhalten, Sklaventreiberei oder gar überhaupt nicht aufgefallen sind. Alles drängt zu den Unternehmen, die sich als Gesamtmarke einen guten Namen gemacht haben. Die faire, moderne Arbeitsplätze bieten. Die Neulinge aktiv integrieren. Die Perspektiven bieten und die durch individuelle, wertschätzende Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass Mitarbeiter wirklich optimale Arbeitsbedingungen vorfinden. Die sich um den Menschen hinter der „Arbeitskraft“ und um deren Wohlbefinden sorgen. Deren Interesse an einer langfristigen, gesunden und respektvollen Zusammenarbeit von außen als ehrlich spürbar ist.

Der magische Trick: Abra…kadabra…Augenhöhe

Menschen wollen „gesehen werden“ – für ihre Persönlichkeit UND ihre Leistung. In den letzten Jahren wurde stets über mangelhafte Performance oder fehlendes Engagement gesprochen. Doch das Positive zu würdigen führt zu weit mehr. Wer es schafft, den Menschen – und damit auch den Bewerbern – ENDLICH wieder auf echter Augenhöhe zu begegnen, der liegt beim „Kampf um die Besten“ weit vorne.

Der Krieg wird selten an der Front gewonnen – sondern bei den Strategen

Sie müssen gar nicht kämpfen, wenn Sie die Grundlagen des Werkzeugs „Anziehungskraft auf Mitarbeiter“ beherrschen: Respekt gegenüber dem Menschen. Wertschätzung für seine Leistungen und Fähigkeiten. Achtsamkeit im Umgang mit seinen Rahmenbedingungen und Anerkennung (= Augenhöhe) statt Lob (= aus dem Hochstatus). Und gerade an dieser Stelle geraten auch die älteren Arbeitnehmer und „Bewerber“ in den Fokus. Denn genau die „älteren“ Generationen SilverSurfer und BabyBoomer legen extremen Wert darauf, achtsam und menschlich behandelt zu werden. Schließlich haben sie in den letzten Jahren genügend Kollegen vor die Hunde gehen sehen – ob durch BurnOut, Kündigung oder teils gar durch Suizid.

Sie kennen den Begriff „gewinnendes Wesen“, oder? Damit ist jemand gemeint, der mit seinem Charisma die Menschen anzieht, wie Motten das Licht. Dann fragen Sie sich doch jetzt einfach mal: Tja – wie anziehend ist MEIN Unternehmen zur Zeit? Was kann ICH für unser Charisma und unsere Anziehungskraft tun? Ich hätte als Respektspezialistin da  ein paar clevere Ideen …

2. Gehen den Unternehmen bald die Bewerber aus?

Zuallererst: NEIN, wir haben in Deutschland zurzeit keinen Fachkräftemangel! Was wir aktuell haben ist

  • ein Mangel an Wertschätzung gegenüber ehrlicher Arbeit.
  • einen Mangel an Respekt gegenüber durchaus qualifizierten Arbeitnehmern
  • einen Mangel an Bereitschaft, als Unternehmer die komfortable Position des „Auswählers“ zu verlassen und selbst zum Bewerber zu werden
  • und eine starke Lobbyarbeit, die Deutschland im 2. Quartal 2014 die höchste Exportquote aller Zeiten bescherte – und massenhaft Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter an der auf Hochtouren laufenden Umsatzmaschine mitnichten beteiligen wollen …

… sondern lieber den Aktionären oder sich selbst die Taschen vollschaufeln. So sieht ganz sicher kein gesundes Wirtschaften aus! Und so wirkt Ihr Unternehmen alles andere als anziehend auf wirklich engagierte Kräfte.

Ja, wenn es so weiter geht, dann gehen schon bald vielen Unternehmen – vollkommen zu Recht – die Bewerber aus. Die sinkende Zahl an Nachwuchskräften spielt dabei jedoch weniger eine Rolle, als die eigene Bereitschaft zur Veränderung. Denn klar: Einkommende Bewerbungen – nach teils unbegreiflichen Kriterien und in abschätziger Manier – auszusortieren scheint einfacher, als sich aktiv um Kandidaten zu bemühen. Doch es ist eine Frage der Zeit, bis letzteres keine Entscheidung mehr ist, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Denn die Generation Y lässt sich eben lieber finden, als aktiv zu suchen. Und damit kommen gänzlich neue Anforderungen auf Sie als Unternehmer zu.

Be-Werben? ICH?

Es wird Zeit, dass Sie Ihr Unternehmen gegenüber potentiellen Mitarbeitern engagiert und glaubwürdig be|wer|ben. Merken Sie´s? Da steckt das Wörtchen WER drin. Und damit sind SIE gemeint.

Es meint, dass Sie Werbung für sich als engagierter Arbeitgeber machen. Doch Vorsicht: Employer Branding ist kein modisches Marketingtool, sondern eine ernstzunehmende Chef-Aufgabe. Denn nur, wenn die Geschäftsführung vorlebt, wie sie das Unternehmen der Zukunft gestalten wird, wird es anziehend auf Kandidaten wirken. Jede noch so kleine „Finte“ oder „fehlende Wahrheit“ wird schnell spürbar – und dann geht der Schuss nach hinten los. Und damit ist weit mehr gemeint als ein Stand auf einer Karrieremesse…

Respekt lebt vom Vorbild

Respekt strahlt zu dem zurück, der ihn ehrlich aussendet. Und schon sind wir beim Punkt: Sie und Ihr Team tun gut daran dahinter zu stehen, wenn Sie diesen neuen Weg einschlagen. Sonst lassen Sie es lieber gleich sein. Und wickeln dann in wenigen Jahren entspannt die Reste Ihres Unternehmens ab.

Jetzt ist die Zeit, die Dinge in die Hand zu nehmen und Ihr Unternehmen auf Zukunft auszurichten. Es ist Zeit für das Umdenken, dass Mitarbeiter Menschen sind und keine austauschbare Handelsware. Und es wird Zeit dass auch der letzte Unternehmer begreift, dass es keine Lösung ist, nach vermeintlich billigen Kräften aus dem europäischen Ausland zu schielen. Denn wer gute Leute aus den Krisenländern einstellt, der schwächt diese Länder und damit Gesamteuropa. Wer diese Menschen nicht oder unzureichend integriert, der billigt, dass sie krank werden, weil ihnen das gewohnte soziale Umfeld fehlt und sie vereinsamen. Damit sterben diesen kurzsichtigen Unternehmen im nächsten Schritt dann auch noch potentielle Kunden in Gesamteuropa aus. Jeder bekommt, was er verdient…

Was nun tun?

Übernehmen Sie Verantwortung. Werden Sie zum wertschätzenden Dienstleister, der sich ehrlich um gute Mitarbeiter bemüht. Denken Sie weiter als bis zum nächsten Quartalsbericht. Entwickeln Sie eine Langfrist-Strategie und definieren Sie Ziele auch in nicht-pekuniären Disziplinen. Schaffen Sie Ihren Mitarbeitern die Rahmenbedingungen, die optimale Leistung überhaupt erst ermöglichen. Und die Menschen motivieren lange loyal für Sie und Ihr Unternehmen zu arbeiten. Unternehmer kommt schließlich von „etwas unternehmen“. Nicht von „abwarten“.

Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag in Ihren Netzwerken teilen.

Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
  1. Ein ganz toller Artikel mit einem schönen, lockeren Schreibstil!

    Ich denke Unternehmen, die schon jetzt auf Wertschätzung ihrer Mitarbeiter setzen, werden zukünftig die führenden Unternehmen sein. Mehr Menschlichkeit und weniger rein kapital-orientierte Unternehmen? Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt. :)

  2. Liebe Daniela Breyer;

    welch schönes Kompliment! Herzlichen Dank für Ihre offenen Worte. In der Tat werden sich Unternehmen aufgrund der sich ändernden Marktbedingungen wandeln müssen – ob sie wollen – oder nicht.

    Die künftigen Mitarbeiter der Generation Y (= Why) werden sie mit vollkommen – für Unternehmen – neuen Anforderungen und viel flexibleren Arbeitsbiographien konfrontieren. Sie werden weniger loyal sein, weniger karriereorientiert und vor allem: Sie fordern mehr Sinnhaftigkeit im TUN – gepaart mit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatem.

    Und genau an diesem Punkt herrscht großer Handlungsbedarf auf Unternehmensseite. Denn da setzt das „Zuhören“ an, da ist Achtsamkeit gefordert und die Wertschätzung wird von alleine entstehen, sobald die Ressource „Arbeitskraft“ zu einem spürbar knapperen Gut wird.

    Ich freue mich über jede(n), die/ der diese Sichtweise mitträgt und dazu beiträgt, festgefahrene Überzeugungen in Unternehmen zu „bewegen“. Und Unternehmen davon zu überzeugen, dass neue Sichtweisen durchaus Erfolg versprechend…und dabei auch noch menschlich respektvoller sind.

    Mit herzlichem Gruß
    Bettina Schöbitz | Respektspezialistin

  3. Das muss sich aber in alle Branchen herumsprechen und nicht nur in den Eliteklassen der IT, des BWL´ers oder Jura, sondern auch bei den normalen alltäglichen Berufen wie Metzger oder Bäcker.

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