Großartige Karriere. Es muss nicht immer die Berufung sein!

„Vom Beruf zur Berufung. Wie Sie einen tollen Job und persönliche Erfüllung finden.“ Dies ist der Titel eines Buches, über das ich neulich bei einer Recherche gestolpert bin. Klingt spannend, war mein erster Impuls. Wer will das nicht?! Also kaufte ich das 2011 erschienene Buch des amerikanischen Bestseller-Autors Stephen R. Covey – natürlich aus rein beruflichen Gründen als Karriere-Coach ;-) Ich habe ja schon einige dieser amerikanischen „Ratgeber“ gelesen, voll bestückt mit amerikanischem Traum, millionenstarken ehemaligen Tellerwäschern und einer 4-Stunden-Woche und Geld bis zum Abwinken.

Zwischen Frustration und Entsetzen

Ich liebe meinen Beruf als Coach und bin damit sehr glücklich und zufrieden. Der Autor dieses Buches hat es aber geschafft, dass ich mich beim Lesen für einen Moment schlecht gefühlt habe und das Gefühl hatte, eigentlich nach einer großartigen Karriere streben zu müssen. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft von der „großartigen Karriere“ die Rede ist – bis hin zu einem Gefühl extremer Abstumpfung und Aversion gegen diesen Ausdruck. Mir kamen Fragen in den Sinn, wie „Wo stehe ich bei meiner großartigen Karriere?“ oder „Müsste ich nicht schon viel weiter sein?“ Sicher sind dies Fragen, über die es sich lohnt, nachzudenken. Die Vehemenz, mit der der Autor für jeden Menschen eine großartige Karriere postuliert, ohne die wir niemals glücklich werden können, hat mich jedoch erschreckt. Ich erlebe täglich Menschen, die infolge ihrer Lebens- oder Arbeitssituation teilweise Symptome einer Depression zeigen und mag mir nicht vorstellen, wie dieses Buch auf diese Hilfe und Ratschläge suchenden Menschen wirkt.

Was macht eine Karriere großartig?

Ja, jeder Mensch strebt nach Selbstverwirklichung und ja, wir freuen uns im Allgemeinen über einen nächsten Karriereschritt, mehr Gehalt oder den Dienstwagen zusätzlich. Ja, wir suchen nach Anerkennung im Beruf und sind glücklich, wenn wir gerne zur Arbeit gehen können, weil uns die Tätigkeiten Spaß machen oder wir einen Sinn in unserer Arbeit sehen. Aber: muss es eine großartige Karriere sein? Was bedeutet denn eigentlich großartig? Was macht eine großartige Karriere aus?

Die Grundaussage des Buchs liegt darin, dass Sie für Ihre großartige Karriere zwei Antworten finden müssen: Was macht Sie einzigartig? und: Welcher Arbeitgeber hat genau das Problem, das Sie mit Ihren Fähigkeiten lösen können? Hier steckt grundsätzlich ein guter Ansatz dahinter. Ich arbeite im Coaching sehr intensiv mit meinen Klienten an deren Fähigkeiten, Ressourcen und Potenzialen. Sich seiner Stärken (wieder) bewusst zu werden und den Fokus auf das zu richten, was im Leben schon einmal gut funktioniert hat ist sinnvoll und oft bereits der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Lösung. Auch die zweite Frage hat ihre Berechtigung. Der Arbeitsmarkt ist auch ein Markt, auf dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Sich bewusst zu machen, welchen Nutzen man als Bewerber für ein Unternehmen stiften kann und konkrete Ideen zu entwickeln, zu welchen Problemen des Unternehmens man einen Lösungsbeitrag leisten kann, ist nicht nur eine gute Eintrittskarte, sondern ein Maßstab zur Entlohnung der Arbeitsleistungen.

Was mich allerdings stört ist, dass dem Leser suggeriert wird, er müsse nach dem Höchsten streben, DER großartigen Karriere. Wie wirkt dieses Zitat auf Sie, welches das Finale des Buchs darstellt? „Nur ein bedeutsames Leben kann ein großes Leben sein. Und ohne bedeutsame Arbeit ist ein bedeutsames Leben kaum möglich.“ (Jim Collins)

Karriere und Berufung sind nicht alles im Leben

Viele Menschen suchen nach einer langen Phase der Arbeitslosigkeit endlich einen neuen Job oder möchten sich nach 20 Jahren in einem Beruf verändern, weil sie mit dem, was sie tun inzwischen unzufrieden sind – aus welchen Gründen auch immer. Viele Menschen sind mit ihrem „Job“ auch zufrieden, verdienen das Geld, welches sie für ihren Lebensstandard brauchen und suchen ihre Erfüllung außerhalb des Berufs. Seine „Berufung“ zu finden kann ein Ziel sein, bedeutet aber für viele Suchende auch einen enormen Druck. Höher, schneller, weiter – ein wohl typisches Phänomen unserer heutigen industrialisierten Wissensgesellschaft. Wenn ich mit meinem Leitsatz sage „Jeder hat das Rüstzeug, das zu tun, was ihn glücklich macht“, dann ist damit nicht immer automatisch die großartige Karriere gemeint. Wer sich entscheidet, als Beamter auf Lebenszeit einem Nine-to-Five-Job nachzugehen und damit glücklich ist, der ist kein Karriereverweigerer, wie es gerade das neue Magazin „Job“ des Spiegel benannt hat, sondern vielmehr zufrieden mit dem was er/sie tut, weil es zum individuellen Lebensmodell und den eigenen Werten im Leben und Beruf passt.

Es ist an der Zeit, dass wir uns wegen unseres Berufs nicht mehr rechtfertigen und miteinander vergleichen müssen. Ob auf der Visitenkarte „Vice President“ oder „Fahrbereitschaft“ steht ist unabhängig davon, wie glücklich und zufrieden jemand in seinem Beruf und seinem Leben ist. Wer als Fahrer einen exzellenten Job macht, dem gebührt die gleiche Wertschätzung wie einem Vorstand, der die Kapitalrendite seiner Aktionäre jedes Jahr ums Neue übertrifft. Wer sich entscheidet, eine großartige Karriere anzustreben, kann daran arbeiten. Hierfür gibt das Buch von Covey wertvolle Impulse. Aber Arbeit muss nicht immer bedeutsam sein, um ein bedeutsames Leben zu führen. Entscheiden Sie, was für Sie im Leben und im Beruf bedeutsam und wertvoll ist und versuchen Sie, einen Weg zu diesen für Sie wichtigen Zielen zu erreichen.

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
  1. Danke für Ihren Beitrag! Für viele Leute ist eine gute Arbeit am wichtigsten im Leben und ich kann sie gut verstehen. Ich glaube aber, dass „die gute Arbeit“ nicht unbedingt die Arbeit sein muss, die Millionen bringt. Jeder soll für sich selber entscheiden, was für ihn „bedeutsam“ ist.

  2. Ein schöner Beitrag, in dessen Sinne sich bisher leider noch viel zu wenig Mutige entscheiden, auf ihre tatsächlichen Talente und Stärken zu hören. Karriere ist eben nicht lineares Streben nach immer mehr Verantwortung oder Gehalt sondern Abbild der eigenen Person. Die häufig negativ ausfallende Darstellung der Generation Y oder des Wertewandels, der sich gerade vollzieht, ist für mich vollkommen unverständlich. Wenn Sie mögen, finden Sie schöne Beispiele auf http://www.unternehmertv.de! :)

  3. Ich habe das Buch auch gelesen, mir ist es aber nicht so negativ aufgestossen. Schließlich kennt man den Stil aus der amerikanischen Tschakka-Nische. Trotzdem habe ich ein paar nette Anregungen für mich herausgezogen, wenn auch nicht so viel wie aus anderen Büchern. „7 Wege“ war noch großartig, danach wiederholt es sich.
    Die Vision, irgendwann den Traumberuf bzw. die Berufung zu leben, finde ich erstrebenswert und gar nicht schlimm. Nur sollte man sich davon nicht unter Druck setzen lassen, und ruhig noch in Jobs bleiben, die halt unperfekt sind.
    Meiner Erfahrung nach finden sich Chancen und Gelegenheiten, wenn man weiß, wonach man gucken muss.
    Muss ich einem Coach vermutlich nicht sagen, aber wenn jeder Mensch wüßte, was ihm wirklich wichtig ist, was seinen Werten entspricht, dann könnten die Menschen fröhlicher werden. Die Verlockungen durch Konsum und Werbung hätten dann weniger Chancen.
    Danke für den Artikel und viele Grüße,
    David Goebel

  4. Ja das sehe ich auch so. Sich fragen, ob die die Karriere eine Berufung, eine Leidenschaft oder eine Aufgabe ist, ist nicht wirklich wichtig. Man spürt meisten dass der Beruf der richtige ist oder nicht. Wäre gerne Tomaten anbaut oder verkauft und dabei zufrieden hat es gefunden und das darf sich auch mit der Zeit wieder ändern.

    Viel wichtiger ist es seine Idee anzupacken und bei der Umsetzung dabei zufrieden zu sein.

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