Bewerbungstrends: Weniger Kräftemessen, mehr echtes Kennenlernen

Bewerber und Recruiter auf Augenhöhe – dieses Thema hat mich 2015 sehr beschäftigt und nicht nur hier im Blog viel Aufmerksamkeit erfahren, sondern es war vor allem Bestandteil intensiver Gespräche mit vielen Bewerbern und auch einigen Recruitern. Denn Jobsuchende bewerben sich zunehmend planlos auf Stellen, die irgendwie passen könnten und verzweifeln an den doch längst bekannten Fragen der Recruiter. Und während auf HR-Seite von strategischer Neufindung als Business-Partner die Sprache ist und sie sich als Marketing-Experten an Employer Branding und Candidate Experience versuchen sollen, finden an der Bewerber-Front viel zu oft immer noch die gewohnten Macht-Spiele statt. Zum Ende des Jahres blicke ich zurück. Welche Themen sind mir häufig begegnet und was hat sich auf Unternehmensseite getan? Bewerbungstrends – wie geht es 2016 weiter?

1. Infopost: Wenn Bewerber auf Masse statt Klasse setzen

Masse statt Klasse. Ein Trend, den ich in der Bewerberberatung immer stärker wahrnehme. 200 Bewerbungen für einen neuen Job sind keine Seltenheit. Manchmal bringen Bewerber übervolle Aktenordner mit ins Coaching. Überall hat es nicht funktioniert, was mache ich falsch? – wollen sie wissen. Und ganz ehrlich, mich wundert es nicht. Denn die großen Buttons „Jetzt hier online bewerben“ unter jeder Stellenanzeige und auf den Karriereseiten der Arbeitgeber machen es ihnen sehr leicht. Da werden schnell der Ansprechpartner, die Position und das Datum ausgetauscht, und die Ein-Klick-Bewerbung ist unterwegs. Dann heißt es wieder Daumen drücken. Irgendwann muss es doch klappen!

Ein weiterer Grund für immer mehr Bewerbungen nach dem Gießkannenprinzip: Viele Stellenanausschreibungen sind heute voller Allgemeinschauplätze und weichgespülter Anforderungen an den Kandidaten. Möglichst viele eingehende Bewerbungen pro Stelle, das scheint immer noch eine wichtige Performance-Kennzahl für HR zu sein, die sich prima über die Inhalte einer Stellenausschreibung steuern lässt.

Auf der anderen Seite die Bewerber: Viele von ihnen wissen nicht, welchen Job und welchen Arbeitgeber sie wirklich suchen. Sich mit den eigenen Werten und Zielen zu beschäftigen oder in detektivischer Kleinstarbeit Informationen zur Position und zum Unternehmen zu recherchieren und für sich zu bewerten, das erscheint für viele Bewerber heute zu anstrengend, denn die Chance auf den Job ist ja eh sehr gering. Blindes Streuen von Bewerbungen ist ein Trend, den ich in 2015 oft beobachtet habe.

Setzt kein grundsätzliches Umdenken sowohl auf Bewerber- als auch auf Unternehmensseite ein, wird sich dieser Trend mit der Zunahme der Kontaktkanäle sowie der grundsätzlich als positiv zu bewertenden technologischen Entwicklung in der Bewerber-HR-Kommunikation weiter verstärken. In der Beratung sehe ich, dass die Strategie zielgenau statt Masse den Bewerber um einiges stärker motiviert und dieses Vorgehen auch sehr erfolgreich ist. Unternehmen könnten dem Trend der Gießkannen-Bewerbung entgegenwirken, indem sie Stellenausschreibungen präziser formulieren und so nicht nur früh Transparenz schaffen, sondern den Kreis der idealen Bewerber klarer eingrenzen, so wie hier geschehen.

2. Vorstellungsgespräch: Täglich grüßt das Murmeltier

Wenn ich von Bewerbern höre, welche Fragen ihnen im Vorstellungsgespräch gestellt werden, dann verdichtet sich bei mir das Bild, dass sich HR noch vielfach über die Rolle des mächtigen Prüfers definiert. Wenn Job-Interessenten das Gespräch verlassen und sie mir hinterher berichten, dass es ausschließlich um die Frage „Wie mache ich den kleinen Bewerber nackig?“ ging, dann ist dies einseitiges Prüfen statt Kennenlernen. Ja, es gibt auch viele hervorragende Recruiter mit echtem Interesse und auf Augenhöhe mit den Kandidaten, keine Frage, doch ich erlebe natürlich vor allem die Negativ-Erfahrungen in der Beratung.

Wie ist das, wenn ein Bewerber zum zwölften Mal seinen Lebenslauf der letzten 19 Jahre Berufstätigkeit auswendig aufsagen und jeden Wechsel des Arbeitgebers rechtfertigen soll? Wenn die Frage nach den Stärken und Schwächen kommt und doch eigentlich beide Seiten wissen, dass die Antworten auswendig gelernt und ohne Aussage sind. Wenn der Fokus im Lebenslauf nur auf der Identifikation der noch so kleinen Lücke liegt?

Ich habe 2015 viel darüber geschrieben, welche Haltung ich sowohl auf Bewerber- als auch auf Recruiter-Seite für zeitgemäß und für eine gute Auswahlentscheidung förderlich ansehe. Einige Bewerber entwickeln langsam ein neues Selbstbewusstsein. Vielleicht trägt auch dies dazu bei, dass 2016 Vorstellungsgespräche weniger eine verkrampfte Farce, sondern mehr zu einem echten Kennenlernen werden. Denn beide Seiten haben es in der Hand.

3. Anpassen ist langweilig. Mit Ehrlichkeit zum neuen Job

Dass ein Bewerber mit Ehrlichkeit zum neuen Job gefunden hat, das war neulich eine Meldung bei Spiegel Online wert. Dies zeigt, welche absurden Züge das Schauspiel zwischen Bewerber und Recruiter heute angenommen hat. Es ist längst Gewohnheit, die Schwächen zu lächerlichen Stärken zu machen, Lücken im Lebenslauf entweder ganz zu vertuschen oder mit Selbstfindungs-Exkursionen und IHK-Seminaren zu schmücken. Und natürlich ist jeder Bewerber kommunikationsstark, teamorientiert, flexibel und durchsetzungsstark, so wie es in den Stellenanzeigen unisono gefordert wird.

Bloß nicht auffallen! Angepasst sein. Ein Trend, den scheinbar viele Bewerber heute überzeugt verfolgen – übrigens auch und vor allem junge Bewerber der Generation Y. Der Norm entsprechen. Die Erwartungen erfüllen. Ich könnte auch sagen: Langweilig sein. Haben sie etwa gelernt, dass dies eine gute Strategie ist, um den zukünftigen Arbeitgeber von sich zu begeistern (wie nur?) und gute Chancen auf den Job zu haben? Weil nur angepasste Mitarbeiter brave Mitarbeiter sind und Karriere machen?

Ich bemerke in der Karriereberatung, dass jegliches Ausscheren von Bewerbern aus der Anpassung, etwa durch die klare Äußerung von persönlichen Zielen und Erwartungen an einen neuen Arbeitgeber, ja auch das Eingestehen von Schwächen, mit großem Interesse und oft auch mit dem passenden Job quittiert wird.

Mein Beitrag zur Frage „Ja, darf man das denn als Bewerber?“ hat kürzlich zu einem Allzeithoch hier im Blog geführt und ich habe viele persönliche und zustimmende Mails erhalten – übrigens auch von Recruiter-Seite. Die ehrliche Klartext-Bewerbung und authentische Offenheit im Austausch auf beiden Seiten wäre für 2016 ein guter Schritt auf dem Weg zu mehr Augenhöhe zwischen Bewerbern und Recruitern.

4. Mobile Recruiting: Per Swipe zum Traumjob

Kennen Sie die mobile Dating-App Tinder? Sie wischen das Bild der Traumfrau oder des Traummannes nach links, dann passt es nicht, oder nach rechts und schon wird der Kontakt hergestellt. Das gibt’s jetzt auch für Jobs – und ich wollte es gleich ausprobieren. Die beiden getesteten Apps heißen truffls und SelfieJobs. Angemeldet entweder mit dem XING-Profil oder über andere soziale Netzwerke werden einige Daten automatisch übernommen. Sie wählen Regionen, Interessensgebiete und einige andere Dinge aus, und schon erscheint die erste passende Stelle im Display. Leiter Kundenbetreuung – passt nicht. … Teamleiter Controlling. Passt zum Profil, trotzdem nach links. … und so ging es weiter, bis die Jobs, die die höchste Übereinstimmung mit meinem Profil aufweisen durchgewischt sind. Zum Test habe ich einige Male zustimmend nach rechts gewischt – aber bisher kein Job-Angebot erhalten ;-)

Ein für mich eindeutiger Trend. Die Digitalisierung und die mobilen Technologien machen auch vor dem riesigen Jobbörsen- und Personalvermittlungsmarkt nicht halt. Fast jede Jobbörse ist heute mobil optimiert und bietet Bewerbern die Möglichkeit, sich direkt vom Smartphone aus zu bewerben. Doch auch wenn mobil immer mehr nach Stellen gesucht wird, beworben wird sich heute noch zum Großteil vom heimischen PC aus. Anschreiben und Lebenslauf werden in Word erstellt, ordentlich formatiert, in ein PDF umgewandelt und über die klassischen Job-Portale oder die Online-Recruiting-Formulare der Arbeitgeber hochgeladen. Hier hinken die Bewerber mit ihrem traditionellen Verständnis eines Bewerbungsprozesses der Digitalisierung im Recruitingmarkt deutlich hinterher.

Ich war von dieser „Spielerei“ der Job-Apps durchaus positiv angetan, doch per Wisch zum Job ist auch sehr oberflächlich und Kritiker sagen, eine Bewerbung habe mehr Ernsthaftigkeit verdient. Ich sehe diese Apps in ihrer heutigen Form nicht als vollwertigen Bewerbungskanal, denn hierfür sind die Informationen für beide Seiten viel zu dünn, sondern als eine von inzwischen sehr vielen guten Möglichkeiten, mit einem potenziellen Arbeitgeber unkompliziert in ersten Kontakt zu treten. Ich werde die Entwicklung rund um Mobile Recruiting in 2016 weiter verfolgen und darüber auch demnächst mal schreiben.

5. Candidate Experience: Gute Idee

2015 war als „Jahr der Kandidaten“ ausgerufen. Über Candidate Experience wurde vor allem in den HR-Blogs sehr viel geschrieben, hier geht’s zur Blogger Challenge von Jo Diercks mit einer riesigen Sammlung richtig guter Beiträge. Doch wie ist es nun ein Jahr später um die Candiate Experience bestellt? Welche Erfahrungen machen Bewerber heute?

Neulich zeigte mir ein Bewerber seine Excel-Tabelle mit allen Unternehmen, bei denen er sich beworben hatte, in der letzten Spalte war der aktuelle Status vermerkt. Von insgesamt 25 Stellen stand dort bei 9 offenen Bewerbungen: „Nie etwas gehört“. Manchmal ergänzt um: „Kein Ansprechpartner vorhanden“. Aus der Perspektive des Bewerbers laufen seine Unterlagen ins Leere. Das ist frustrierend und dem Bewerber gegenüber respektlos. Es ging um eine Führungsposition im mittleren Management, nicht um einen Praktikumsplatz – wobei das auch keinen Unterschied machen dürfte.

Haben Sie Lust auf mehr Candidate Experience? Hier: Stellen werden plötzlich nach dem dritten Interview doch nicht besetzt, weil es sich der Chef anders überlegt hat, sie sind aber 4 Wochen später wieder ausgeschrieben. Bewerbern wird das Kennenlernen des zukünftigen Arbeitsplatzes versagt, man wolle keinen Bewerber-Tourismus im Haus. Gespräche werden drei Mal verschoben, weil der Personalleiter kurzfristig auf Dienstreise ist. Wenn der Bewerber um einen neuen Termin bittet, folgt die Absage am nächsten Tag.

Ja, ich habe dieses Jahr sehr oft über HR und die Recruiting-Praxis hergezogen, vor allem die wenig strategische Ausrichtung von HR bemängelt (hier). Viele Recruiting- und HR-Experten fordern nun eine stärkere Umsetzungsorientierung ein, HR müsse vom Reden über Konzepte ins Handeln kommen. Vielleicht sollte 2016 das Jahr der Personaler werden? Denn gerade kleine und mittelständische Unternehmen in ländlichen Regionen werden sich in den nächsten Jahren immer mehr der Herausforderung stellen müssen, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren, um die frei werdenden Stellen adäquat neu zu besetzen.

6. Better safe than sorry: Psycho-Tests als Rechtfertigung

Ein 20-jähriger Abiturient bewirbt sich bei einer sozialen Organisation für einen Ausbildungsplatz. Er erhält – bevor es überhaupt zu einem persönlichen Kontakt kommt – einen Link für den Zugang zu einem Online-Test. Nach Abschluss des Tests kam das Ergebnis, kurz darauf die Absage von der Personalabteilung: Er habe bei bestimmten Ausprägungen die Mindestpunktzahl nicht erreicht. Ich habe die Auswertung gesehen, bis auf einen Punkt waren alle Werte im oberen Bereich. Die gute Wendung in dieser Geschichte: Er ist auf meinen Beitrag aus 2014 zum Dankschreiben nach Jobabsage gestoßen, hat allen Mut zusammengenommen und dem Unternehmen geschrieben. Jetzt ist er für ein Auswahlgespräch eingeladen. So sehr ich mich gefreut habe, dass das Dankschreiben Wirkung hatte, so erstaunt war ich über das Auswahlverfahren.

Persönlichkeits-Tests im Bewerbungsverfahren. Ein Trend, den ich immer stärker bei der Personalauswahl beobachte. Warum ich solche Tests im Coaching nur sehr punktuell einsetze, darüber hatte ich im April hier geschrieben. Im Recruiting erfüllen Sie aus meiner Perspektive vor allem einen Zweck: Sie sind das schwarz auf weiß dokumentierte Faktum, das den Recruiter in seiner Entscheidung absichert. Ein aus meiner Sicht unnötiger Auswuchs der mangelhaften Fehlerkultur vieler Unternehmen. Menschen können irren, sich blenden lassen, einen schlechten Tag haben. Der Persönlichkeitstest kann als Rechtfertigung einer Auswahlentscheidung in die Personalakte geheftet werden. Setzt sich dieser Trend in 2016 fort, dann wird es nichts mit dem Slogan „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“.

7. Alteisen mit 35: Wenn der Fachkräftemangel hausgemacht ist

„Wenn ich noch einmal den Arbeitgeber wechseln möchte, dann ist dies jetzt die letzte Chance.“ Diesen Satz habe ich dieses Jahr im Karriere-Coaching auffällig häufig gehört. Das Erschreckende: Die Wechselwilligen, die mir gegenüber saßen und diese Torschlusspanik an den Tag legten, waren größtenteils unter 40, einer sogar erst 35.

Ab Mitte 40 wird es schwer, als Bewerber auf offene Stellen eine Chance zu bekommen. Ja, das scheint heute so zu sein und das spüren „ältere“ Bewerber an ihrer Einladungsquote. Hierfür braucht es eine individuelle Bewerbungsstrategie, die ihre Chancen deutlich verbessert. Doch warum dieser Jugendwahn in den Unternehmen? Geht es bei der Neubesetzung von Positionen – bis auf die typischen Stellen mit Grauhaar-Image – doch wieder nur um Formbarkeit von jungen Köpfen, günstigere Arbeitskräfte oder die Sorge, die „Alten“ kommen in 5 Jahren mit der neuen IT nicht mehr klar?

Angesichts der allseits bekannten demografischen Entwicklung und dem heute schon lauten Gejammere vieler Unternehmen über den Mangel an Fachkräften ist diese Haltung – sowohl von Arbeitgebern als auch von Angestellten in den besten Jahren – für mich völlig unverständlich. Ich bin sicher, hier wird in den nächsten Jahren ein Umdenken stattfinden müssen, so dass das wertvolle Erfahrungswissen in den Köpfen der Mid-Ager wieder stärker wertgeschätzt und sinnvoll mit den Kompetenzen der jungen Generationen kombiniert wird.

8. Karriere-Flexibilität: Ist Deutschland bereit für neue Karrieren?

Über ein neues Karriereverständnis habe ich 2015 sehr oft geschrieben. Über Angestellte und Führungskräfte, die einen Schritt zurück möchten, Führungsverantwortung abgeben oder wieder mehr Zeit für die Familie haben möchten. Und gleichzeitig auch bereit sind, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Downshifting, ein Karriere-Schritt, mit dem viele Unternehmen heute noch nicht umgehen können. Eine schwierige Situation für Bewerber, die ihre ungewöhnliche Motivation rechtfertigen müssen, als Versager dastehen und zudem bei einem Rückschritt häufig als überqualifiziert und damit ungeeignet für die neue Position abgestempelt werden.

Karrieren sind in Zukunft nicht mehr linear, sondern bunt. Mal die Projektleitung auf Zeit, dann wieder Teamleiter, danach vielleicht Experte ohne Personalverantwortung, eventuell auch eine Zeit der Selbstständigkeit zwischendurch. Dieses Verständnis von Karriere setzt sich vor allem bei berufserfahrenen Angestellten, die sich intensiv reflektiert haben, immer häufiger durch. Sie möchten das tun, was ihnen im jeweiligen Lebensabschnitt wichtig ist.

Ich deute diese Entwicklung als eine Antwort der Arbeitnehmer auf die Forderung nach mehr Flexibilität. Doch genau dort bei den Arbeitgebern ist die Flexibilität nun gefordert. Sie werden 2016 vor der Herausforderung stehen, nicht nur neue flexible Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, sondern in der Konsequenz auch flexiblere Karriere-Modelle, um ihre guten Mitarbeiter zu halten.

Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag in Ihren Netzwerken teilen.

Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
  1. Guten Abend Herr Dr. Slaghuis,
    wieder mal ein absolut gelungener Artikel von Ihnen. Ich stimme in allen Punkten zu, Ganz besonders Ihre Sichtweise zum Auswahlverfahren der Bewerbungen und hier insbes. der Umgang mit Bewerbern. Es sollte mittlerweile jedem klar sein, dass Bewerbungsgespräche von gegenseitigen Lobhudeleien geprägt sind, bloss nicht die Wahrheit sagen um Gottes Willen nicht zugeben, dass das Gehalt reizt. Für alles soll man bescheidene und imaterielle Werte zugrunde legen. Lücken im Lebenslauf sind ein gefundenes Fressen, dabei sind das oftmals genau die Zeiten, die den Bewerber stark gemacht haben oder erwachsen oder seine Blickrichtung verändert haben. Ja, warum denn auch nicht. Sollen denn alles nur gute Schafe sein, die dem Hirten gehorchen. Wie passt das mit dem geforderteten Durchsetzungsvermögen zusammen. Wie mit der Zielorientierung? Und wo bleibt die Persönlichkeitsentwicklung? Sind wir deutschen Menschen denn überhaupt nicht lernfähig. Muss alles immer beim Alten bleiben, weil es immer schon so war? Nur nicht ausbrechen, nur keine Ideen einbringen, sofort ist man der verrückte Paradiesvogel und muss unbedingt wieder auf den rechten Weg gebracht werden. Solche Systeme machen krank, rauben Energien, schränken das Denken ein, bremsen die Kreativität und machen letztlich unglücklich. Hohe Krankheitsraten und unmotivierte Mitarbeiter sind das Ergebnis. Wann lernen wir endlich, dass 9 to 5 nicht unbedingt für jeden geeignet ist. Wann stehen wir dazu, dass Frauen mit Kindern wertvolle Mitarbeiter sind, wenn man ihnen nur den Raum gäbe zu arbeiten, ohne das es mit Kitazeiten kollidiert. Bewerbungsprozesse die zum Himmel schreien, Hierarchien, die der Menschenwürde trotzen, muss das in diesem Jahrhundert wirklich noch so sein? Hat uns das irgendwo hingebracht? Wann lernen wir, dass es anders geht und anders gehen muss. Werteverschiebungen haben nicht nur in der Generation x und y stattgefunden und das ist gut so. Psychische Erkrankungen, Rückenleiden und dergleichen nehmen nicht einfach so zu, weil Mitarbeiter keine Lust haben, sondern weil man ihnen die Freude an der Arbeit geraubt hat. Die Identifikation mit dem Unternehmen findet nicht mehr statt, auf Grund welcher Werte denn auch? Kaum jemand, der noch stolz auf das Unternehmen ist, dem er den größten Teil seiner Lebenszeit zur Verfügung stellt. Schade, oder? Ihr Ansatz und der von Buffer gehen in die einzig richtige Richtung. Mehr davon. Sie haben mich mit diesem Artikel „getroffen“ aber im positiven Sinne. Ich habe Lust wieder zu kämpfen für mehr Transparenz,mehr Mensch, mehr Leben. Weg mit der Fehlervermeidungsgesellschaft hin zu persönlichen Ressourcen. Weg mit menschenunwürdigen Systemen, Gehältern, die Menschen in Vollzeitbeschäftigung zusätzlich zu hilfebedürftigen Empfängern im Sozialsystem machen.
    In diesem Sinne sende ich Ihnen die herzlichsten Grüße.
    E. Dola

    1. Hallo Frau Dola,
      vielen Dank für Ihre Meinung und schön, dass wir uns „getroffen“ haben. Mir war es im Artikel wichtig auszudrücken, dass heute nicht alles mies ist und schlecht läuft, sondern ich auch viele gute Entwicklungen sehe. Einige von ihnen brauchen noch ihre Zeit, werden aber aus meiner Wahrnehmung sicher kommen. Vieles könnnen auch Bewerber bewegen, wenn sie die Eigenverantwortung für sich und ihr Leben übernehmen und raus kommen aus der Haltung „Die Anderen sind alle so böse zu mir.“ Meine Sicht: Oftmals sind die Unternehmen und HR schon viel weiter in ihrer Haltung, doch die Bewerber hinken mit ihren alten Das-darf-man-nicht-Denkweisen noch hinterher. Ja, Unternehmen sollten sich den Fragen stellen, die Sie beschrieben haben, aber auch Mitarbeiter sind in der Verantwortung, etwas zu verändern – auch wenn es nur ihr eigenes Arbeits- und Lebensumfeld betrifft.
      Viele Grüße
      Bernd Slaghuis

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