Überqualifiziert? So finden Bewerber und Unternehmen trotzdem zusammen.

Sie erhalten als Bewerber auf Ihre Lieblingsstelle vom potenziellen Wunscharbeitgeber eine Absage und haben die Fragen aus dem Vorstellungsgespräch noch gut im Ohr: „Wieso interessieren SIE sich mit Ihrer Erfahrung für diese Stelle?“ oder „Sie haben bisher ein Team geleitet, wieso möchten Sie Ihre Führungsrolle nun plötzlich aufgeben?“. Überqualifizierung als vermuteter Grund für eine Absage ist für Job-Suchende extrem frustrierend. Wenn Bewerber ihre persönliche Intention und Unternehmen ihre Bedenken offen thematisieren, haben beide Seiten die Chance, zusammenzufinden und eine echte Win-Win-Situation zu schaffen.

Langweilen sich überqualifizierte Mitarbeiter?

Was bewegt Unternehmen dazu, vermeintlich überqualifizierte Bewerber abzulehnen? Lange Zeit galt die Annahme in Unternehmen, dass diese Mitarbeiter sich schnell langweilen, sie unterfordert und damit demotiviert sind und das Unternehmen bald wieder verlassen. Neuere Studien gehen eher vom Gegenteil aus, denn es wurde festgestellt, dass Mitarbeiter, denen ihr hohes Potenzial bewusst ist, mehr Freude an ihrer Arbeit haben, damit motivierter sind und im Vergleich zu anderen Kollegen höhere Leistungen erbringen. Eine weitere Erkenntnis: Mitarbeiter verlassen ein Unternehmen selten infolge des Gefühls, für einen Job überqualifiziert zu sein, sondern häufiger, weil sie mit den Arbeitsbedingungen bzw. dem Umfeld nicht zufrieden sind.

Was können Bewerber tun?

Wer sich als Bewerber auf eine Stelle bewirbt, für die er oder sie glaubt, überqualifiziert zu sein, sollte bereits im Bewerbungsschreiben seine Intention klar zum Ausdruck bringen. Scheuen Sie sich nicht davor, ein Statement zu Ihrer Qualifikation abzugeben und machen Sie klar, warum Sie diesen Job attraktiv finden. Wichtig: Der Grad zur Überheblichkeit ist hier sehr schmal. Wer sich selbst als überqualifiziert einschätzt und sich entsprechend darstellt, kann leicht in die Selbstüberschätzer- und Möchtegern-Ecke gesteckt werden. Diese fünf Fragen können Ihnen dabei helfen, sich über Ihre Qualifikation bewusst zu werden und diese bezogen auf eine konkrete Stellenausschreibung zu hinterfragen:

  1. Was genau reizt mich an dieser Stelle? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass meine eigenen Werte, also das, was mir im Leben und Beruf besonders wichtig ist, bei dieser Stelle erfüllt sind?
  2. Warum denke ich, dass ich für diese Stelle vielleicht überqualifiziert bin? In welchen Punkten glaube ich die Anforderungen an die Stelle zu übertreffen? Welche Beispiele aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass ich diese Fähigkeiten über die Anforderungen hinaus besitze und erfolgreich anwenden kann?
  3. Kann ich bei diesem Job meine Stärken in ausreichendem Maß einbringen und wird mich dies motivieren? Welche meiner vorhandenen Stärken werde ich für diese Arbeit eher weniger einsetzen können? Wird mir etwas fehlen? Kann ich diese vielleicht außerhalb des Jobs kompensieren?
  4. Welche Fähigkeiten oder welches Wissen fehlen mir heute noch, um den Anforderungen an diese Stelle vollkommen gerecht zu werden? Woran möchte ich arbeiten, um mich weiter zu entwickeln?
  5. Was unterscheidet mich von anderen, vielleicht besser auf das Stellenprofil passenden Bewerbern? Warum sollte ein Unternehmen mich mit meinen Erfahrungen und Fähigkeiten einstellen?

Integrieren Sie die Antworten auf diese Fragen in Ihre Bewerbungsmappe, entweder im Anschreiben oder als separates Motivationsschreiben. Achten Sie darauf, nicht in Prahlerei und allzu starkes Eigenlob über sich selbst zu verfallen. Stellen Sie vielmehr sachlich und für einen Fremden gut nachvollziehbar dar, dass Sie Ihre (Über-)Qualifizierung für diese Position erkannt haben und was dies für Sie bedeutet. Zeigen Sie auch, dass Sie trotz Ihrer vielleicht die Anforderungen übersteigenden Fähigkeiten Themen erkennen, die Ihnen Raum für fachliche und persönliche Weiterentwicklung bieten und Sie daran Interesse haben. Machen Sie dies so deutlich und konkret wie möglich, denn Pauschalismen und Worthülsen sagen nichts über Ihre tatsächlichen Beweggründe aus.

Verändern Sie die Perspektive

Versetzen Sie sich doch einmal in die Perspektive eines Personalentscheiders in diesem Unternehmen, der Ihre Bewerbungsunterlagen auf den Tisch bekommt. Wenn Sie Ihre Bewerbung schon geschrieben haben, dann probieren Sie Folgendes: Nehmen Sie Ihre Bewerbungsmappe zur Hand und setzen sich an einen anderen Platz. Wenn Sie gerade an einem Tisch sitzen, dann nehmen Sie zum Beispiel den Platz gegenüber. Sobald Sie sich wieder setzen, haben Sie sich in den Personalentscheider verwandelt und blicken aus seiner Brille auf die Bewerbung:

  • Was ist der erste Impuls, der Ihnen zu dieser Bewerbung in den Sinn kommt?
  • Übersteigen die Fähigkeiten und Kompetenzen des Bewerbers die Anforderungen an die Stelle? Woran erkennen Sie dies im Anschreiben und im Lebenslauf?
  • Was zeigt Ihnen, dass dies – trotz Überqualifizierung – ein interessanter Kandidat für das Unternehmen und für diese Stelle ist?
  • Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für den Bewerber im Unternehmen?
  • Was benötigen Sie, um die Sicherheit zu haben, dass sich der neue Mitarbeiter nicht innerhalb kurzer Zeit langweilen wird und was können Sie als Unternehmen dazu beitragen, dass dies nicht geschehen wird?
  • Wie passt der Kandidat in das bestehende Team und die Führungsstrukturen (das wissen Sie vermutlich als Bewerber mit der Brille des Personalers nicht, da Sie die Mitarbeiter und Strukturen nicht kennen, aber machen Sie sich trotzdem einmal ein paar – wenn auch theoretische – Gedanken hierzu)

Verwandeln Sie sich nun wieder zurück in sich selbst. Wenn Sie den Platz eben gewechselt haben, dann gehen Sie wieder zurück auf „Ihren“ Platz.

  • Welche Erkenntnisse haben Sie durch den Perspektivwechsel gewonnen?
  • Betrachten Sie das Thema Ihrer Überqualifizierung jetzt anders? Wenn ja, was hat sich verändert?
  • Gibt es Stellen in Ihrer Bewerbung, die Sie anpassen möchten?

Jeder Downshifter erscheint überqualifiziert

Downshifting ist die bewusste Entscheidung eines Menschen, beruflich etwas zu verändern. Diese Veränderung geht meist einher mit einem Verzicht auf Status und Einkommen zugunsten von mehr Sinn und Selbstbestimmtheit im Job oder einer besseren Work-Life-Balance. Ein Beispiel für Downshifter sind etwa Führungskräfte, die sich bewusst gegen den nächsten Karriereschritt entscheiden oder die bisherige Führungsposition ganz aufgeben möchten, weil sie damit nicht mehr glücklich sind. Die Beweggründe und Formen von Downshifting können vielfältig sein, hier zwei Beiträge zum Thema Downshifting von mir auf business-netz.com und auf careerbuilder.

Jeder Downshifter dürfte per Definition aus der Sicht eines neuen Arbeitgebers als überqualifiziert erscheinen. Umso klarer sollten Sie bereits mit Ihrer schriftlichen Bewerbung herausstellen, was Sie zu Ihrer Entscheidung geführt hat und welche Ziele Sie damit verfolgen. Achten Sie darauf, dass dabei nicht das Bild des in den letzten Jahren völlig überforderten Mitarbeiters entsteht, der nun nahe dem Burnout ist. Legen Sie mit Ihrer Bewerbung vielmehr sachlich Ihre Werte im Beruf offen und machen Sie deutlich, was diese Werte für Sie und Ihr Leben bedeuten. Spielen etwa die Werte „Sinn“ oder „Passion“ bei Ihrer Arbeit eine wichtige Rolle und sollten im neuen Job stärker erfüllt sein, dann stellen Sie dies bereits mit dem Anschreiben heraus. Erklären Sie, was Sie mit diesen Werten verbinden und bei welchen Punkten der Stellenausschreibung Sie diese auch als erfüllt ansehen – und sich daher ja auch für diese Stelle interessieren.

Überqualifizierte Bewerber als Potenzialträger erkennen

Für Unternehmen ist es eine schwierige Entscheidung, einen eigentlich für eine Position überqualifizierten neuen Mitarbeiter einzustellen. Nüchtern betrachtet bedeutet dies ja, dass der Kandidat nicht auf die Stellenausschreibung passt. Dennoch können folgende Gründe dafür sprechen, diesen Bewerber für das Unternehmen zu gewinnen:

  • Der Bewerber bietet ein hohes Entwicklungspotenzial und die aktuell zu besetzende Stelle ist ein geeignetes Sprungbrett für eine andere Position. Vielleicht kann auch die zu besetzende Stelle in Teilen neu definiert und damit sowohl für Bewerber als auch für das Unternehmen sinnvoll aufgewertet werden.
  • Der Bewerber macht deutlich, dass ihm die Überqualifizierung bewusst ist und er sich aus bestimmten Gründen trotzdem für diese Position interessiert. Ein Verzicht auf Einkommen oder Verantwortung wird bewusst von ihm akzeptiert und gewünscht, um andere Werte mit dem neuen Job stärker zu erfüllen.

Für Bewerber und Unternehmen gilt gleichermaßen: Je mehr Klarheit und Bewusstsein über die beiderseitigen Erwartungen und Ziele innerhalb des Bewerbungsprozesses hergestellt werden kann, desto höher ist die Chance, dass sich Mitarbeiter mit ihren neuen Aufgaben im neuen Unternehmen identifizieren und motiviert sind.

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

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