5 Tipps, warum du nicht mehr auf Tipps hören solltest

Tipps für dieses, Ratschläge gegen jenes. Überall begegnen uns heute Tipps, wie auch wir es jetzt endlich schaffen können, glücklich und erfolgreich zu werden und alle unsere Ziele sicher zu erreichen. Tipps für die steile Karriere und die Gehaltsverhandlung, Tipps für das perfekte Sixpack in nur 5 Tagen, Tipps zu richtigem Verhalten in allen möglichen Lebenssituationen. Eine regelrechte Flut mit angeblich brandneuen Tipps überschwemmt uns tagtäglich auf allen Kanälen. Gleichzeitig sind wir selbst permanent auf Lauerstellung, auf der Jagd nach Tipps und guten Ratschlägen – angefangen beim Schnäppchen zum Knüllerpreis bis hin zu ultimativen Ratschlägen bei schwierigen Entscheidungen. Ich vermute nicht nur, dass du es niemals schaffen wirst, alle diese guten Ratschläge zu beherzigen, nein, ich empfehle dir sogar, es gar nicht erst zu versuchen. Denn hier sind meine 5 Tipps, warum du besser nicht mehr auf Tipps hören solltest:

1. Tipps können dich in den Wahnsinn treiben

Du stehst vor einer schwierigen Entscheidung. Du hast das Gefühl, diese Entscheidung wird die nächsten Jahre deines Lebens beeinflussen. Vielleicht ein Jobwechsel, der Hauskauf oder der Umzug in eine andere Stadt. Was tust du? Informationen sammeln. So viele Informationen wie du nur bekommen kannst. Dein Ziel: Unsicherheit und Risiken reduzieren. Doch was geschieht? Mit jeder neuen Meinung, die du vom besten Freund, der Familie, dem Kollegen oder speziellen Experten bekommst, steigt die Unsicherheit bei dir weiter an. Die Eltern raten dir dazu, doch lieber nicht den Job zu wechseln, denn wer weiß, was da auf dich wartet und du hast es doch jetzt schon so gut. Der Kollege weiß genau Bescheid und gibt dir den Tipp, schnell zu wechseln, denn er hat einen guten Draht zum Betriebsrat und weiß von den bevorstehenden Entlassungen. Und die beste Freundin rät dir, gelassen zu bleiben und erstmal abzuwarten. Ja, Tipps können auch mächtig verunsichern, weil sie noch mehr verschiedene Meinungen und daraus resultierende Handlungsmöglichkeiten in deinen Kopf bringen. Der eine sagt das, der andere sagt jenes – und die müssen es ja alle wissen! Dein Gedankenkarussel gewinnt so richtig an Fahrt.

Tipp oder Information?

Es ist ein Unterschied, ob dir dein Kollege sagt „Ich weiß vom Betriebsrat, dass Entlassungen geplant sind und daher solltest Du das sinkende Schiff unbedingt schnell verlassen.“ oder ob er dir sagt „Ich weiß vom Betriebsrat, dass Entlassungen anstehen.“ Auch das ist ein Tipp, doch was du aus dieser Information machst, bleibt dir überlassen. Du kannst schnell vor allen anderen kündigen und dich bewerben, du kannst dir aber auch überlegen, zu bleiben und vielleicht eine Abfindung mitzunehmen. Achte im Alltag doch einmal darauf, wie oft dir in Gesprächen direkt zu einer Information gleich der passende Tipp als eigene Meinung und gut gemeinter Ratschlag mitserviert wird. Schmeckt dir das oder macht es dir Entscheidungen nur noch schwieriger?

2. Tipps können richtig falsch sein

Jeder ist heute Top-Experte für irgendetwas. Wer in der Bild am Sonntag über die Entwicklung des Euros liest, fühlt sich berufen, am Montag die Bundeskanzlerin in Sachen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu beraten. Ich habe neulich einen Online-Vortrag gesehen, in dem ein Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens Tipps zum Bewerbungsanschreiben gibt und sagt: „Schreiben Sie niemals in Ihr Anschreiben hinein, was Sie vom Arbeitgeber erwarten!“ Der Herr ist schätzungsweise Mitte/Ende 50. Ja, dieser Tipp ist aus seiner Brille richtig, denn er hat dies so gelernt und wahrscheinlich wählt er danach auch heute noch Bewerber aus. In seinem Weltbild macht man so etwas nicht. In meinem Weltbild sieht das jedoch ganz anders aus: Natürlich solltest du dir bewusst darüber sein, was auch du von einem neuen Arbeitgeber erwartest und welches der passende Nährboden für deine weitere Entwicklung ist – und das auch (gut verpackt) in einem Anschreiben unterbringen. Zwei Weltbilder – Zwei Tipps. Wer hat Recht?

Tipp oder Bestätigung?

Jeder Tipp resultiert aus dem Weltbild des Tipp-Gebers und dem meist kleinen Ausschnitt seiner Sicht auf deine Situation. Es gibt objektiv kein richtig oder falsch. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Mein Tipp würde dir gefallen, wenn du auch das Verständnis von einer zeitgemäßen Bewerbung auf Augenhöhe hast. Unsere beiden Weltbilder wären dann ähnlich. Tipps sind für uns dann besonders willkommen, wenn wir nicht nur das Gefühl haben, der andere weiß, wovon er spricht, sondern dass er mich sogar versteht. Wir glauben eher den Tipps von Experten, wenn sie uns im Denken und Handeln ähnlich sind und in unserer Meinung bestätigen. Aber genau das ist doch eigentlich ziemlich verrückt, oder? Wäre es nicht viel hilfreicher, neue Perspektiven durch Impulse von Andersdenkenden einzunehmen und darüber nachzudenken statt nach bloßer Bestätigung zu suchen? Es ist nicht immer einfach, die Sichtweise eines anderen Menschen nachzuvollziehen, aber achte doch einmal beim nächsten Tipp darauf und frage dich ganz bewusst, welches Weltbild sich hinter diesem Tipp verbirgt. Und prüfe auch, ob du in Wirklichkeit nur auf der Suche nach Bestätigung bist oder ein echtes Interesse an anderen Meinungen hast.

3. Tipps können beeinflussen

Tipps als Marketinginstrument sind ein äußerst geschicktes Mittel, dich als Verbraucher zu beeinflussen und damit zu motivieren, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Unter dem Vorwand „Ich meine es doch nur gut mit Dir und gebe Dir heute diese wertvollen Tipps“ verkauft der Hersteller sein Produkt. Nun, das ist zunächst nicht verwerflich, denn das ist sein Job. Problematisch finde ich es, wenn eine Information als Tipp so verpackt wird, dass sie als neutrale Botschaft daherkommt – am besten von einem vermeintlich neutralen Experten – aber in Wahrheit eine direkte Verkaufsabsicht dahintersteckt. In Print und TV müssen diese Tipps als Anzeigen oder Produktplatzierung kenntlich gemacht werden. Doch wie sieht es zum Beispiel in Blogs aus? Du glaubst nicht, wer mich fragt, ob ich über ein Produkt schreiben könne. Erst gestern eine Firma, die hochwertige Taschen herstellt und mir erklärte, sie könnten Bewerber Tipps geben, welche Business-Tasche am besten für das Vorstellungsgespräch geeignet sei. Absurd! Gelöscht. Das Geschäft boomt, über Werbung mit redaktionell-seriösem Tipp-Anstrich Käufer zu beeinflussen.

Tipp oder Beeinflussung?

Es muss gar nicht der Hersteller mit Verkaufsabsicht sein. Auch Freunde, der Chef oder die Kollegen können dir Tipps geben, um dich zu einer bestimmten Handlung zu bewegen. Tipps beeinflussen immer dann, wenn der Tipp-Geber eigene Interessen verfolgt bzw. mit deinem Handeln auf Basis des Tipps auch Vorteile für ihn verbunden sind. Manchmal dürfte es für dich schwierig zu erkennen sein, ob ein Tipp auch gleichzeitig eine bewusste Beeinflussung ist. Hinterfrage, wer dir gerade diesen Tipp gibt. Hat er oder sie ein eigenes Interesse daran, dass du den Tipp befolgst? Geht es dem Tipp-Geber ausschließlich um dein Wohl und deine Ziele oder stecken dahinter verborgen seine eigenen Ziele? Was meinen Blog betrifft, kannst du sicher sein, dass ich dir auch weiterhin nicht unterschwellig Handtaschen oder Nahrungsergänzungsmittel per gut gemeintem Tipp ans Herz lege. Außerdem gilt auch für Blogs: Werbung und bezahlte Links müssen als solche gekennzeichnet werden – macht aber kaum jemand.

4. Tipps können Verantwortung abnehmen

Ich wette, diese Situation kennst du gut: Es läuft im Büro etwas schief und die Rechtfertigung ist: „Frau Müller hat mir aber doch den Tipp gegeben, es so zu machen. Die ist schuld!“ Tipps sind ein perfektes Mittel, bei Problemen auf den Sündenbock zu zeigen. Mache ich es, wie es mir von jemandem geraten wurde, bin ich fein raus aus der eigenen Verantwortung – so zumindest die weitläufige Meinung in Büro-Alltag. Eigentlich wundert es mich gar nicht mehr, wenn mir Klienten erzählen, dass die Kollegialität im Job verloren gegangen ist und niemand mehr miteinander spricht. Wenn der gut gemeinte Tipp unter Kollegen später zum Bumerang wird, dann ist ganz schnell aus-getippt. Denn warum sollte ich der Kollegin oder dem Kollegen einen Ratschlag geben, wenn ich hinterher der Dumme bin?

Tipp oder Bequemlichkeit?

Aus der anderen Perspektive gesehen leiten Tipps insbesondere im beruflichen Umfeld dazu an, keine eigene Verantwortung zu übernehmen. Der Kollege wird es schon wissen, also mache ich das so. Das ist bequem. Du musst dir keine eigenen Gedanken machen und wenn es schief geht, kennst du ja den Schuldigen. Es gibt Menschen, die zu mir ins Karriere-Coaching kommen und so viele Tipps wie möglich in 60 Minuten abgreifen wollen. Was tatsächlich in den meisten Fällen dahintersteckt: Sie suchen einen Dritten, den sie später dafür verantwortlich machen können, dass es mit der Bewerbung, dem nächsten Karriere-Schritt oder dem Neustart wieder einmal nicht geklappt hat – und das, wo sie doch jetzt genau diese Tipps befolgt haben. Also: Mache dir als Tipp-Suchender immer wieder bewusst, warum es dir wichtig ist, einen Tipp zu erhalten. Geht es um neue Impulse durch die Erfahrung anderer, die du aus deiner Perspektive bewerten und daraus die für dich sinnvollen Entscheidungen ableiten kannst? Oder bist du nur auf der Suche nach einem Grund, nicht selbst nachzudenken und nicht die eigene Verantwortung für dein Handeln übernehmen zu müssen, weil es bequemer ist, einfach einem Tipp zu folgen?

5. Tipps können verpflichten

Du triffst dich zum Kaffee mit deinem bestem Freund oder der allerliebsten Freundin, um eine wichtige Entscheidung in deinem Leben zu besprechen. Er oder sie nimmt sich Zeit für dich und gibt dir einen Tipp. Wirklich gut gemeint und ehrlich. Da ist keine Beeinflussung im Spiel, es geht nur um dein Wohl. Ihr geht auseinander und bei der Verabschiedung sagt er oder sie:“Ich wünsche Dir viel Erfolg und hoffe, ich konnte Dir helfen.“ Ja, denkst du, wenn da nicht jetzt schon dieses dumpfe Gefühl in der Magengegend wäre, das dir sagt: Das traue ich mir nicht zu! Eben beim Kaffee hast du noch Dankbarkeit für die guten Ratschläge bekundet und nun siehst du doch die vielen Steine auf deinem Weg liegen. Was tun? Was wird die beste Freundin wohl denken, wenn du ihren Tipp nicht befolgst? Wird das eure Freundschaft überstehen? Kannst du ihr einfach später sagen, dass es für dich doch nicht der richtige Weg war? Glaubt sie dann, du nimmst sie nicht ernst? Ja, gerade Tipps von guten Freunden oder aus der Familie können uns ein Gefühl von Verpflichtung geben.

Tipp oder Verpflichtung?

Fühlst du dich verpflichtet, einen gut gemeinten Tipp zu befolgen, nur um es anderen recht zu machen, dann gibst du auch in diesem Moment die Verantwortung für dein Handeln ab. Harmonie ist dir dann wichtiger als deine eigenen Ziele. Tipps von guten Freunden oder der Familie können die Beziehungsebene stärken, denn sie zeigen, dass sich jemand für dich interessiert, dir helfen möchte und du ihm oder ihr besonders wichtig bist. Zu dieser guten Beziehung zählt jedoch auch, dass du anderer Meinung sein darfst oder später deine Meinung und auch dein Verhalten verändern kannst. Empfindest du das Gefühl von Verpflichtung, einen Tipp befolgen zu müssen, dann solltest du diese Situation hinterfragen. Woher stammt das Gefühl der Verpflichtung und was würdest du deinem Freund, der Freundin oder der Familie sagen, warum du diesen Tipp doch lieber nicht befolgt hast? Handeln aus Pflichtgefühl heraus führt dich wahrscheinlich nicht in die richtige Richtung. Schaffe stattdessen für dich Klarheit über die Sache und deine Entscheidung und sprich mit dem Tipp-Geber über deine Miotivation dahinter.

Ok, Tipps können nützlich sein, solange du entscheidest!

Du bemerkst es sicher schon, auch dieser Beitrag steckt wieder voller Tipps von mir. Dabei erzähle ich dir gleichzeitig, dass du nicht mehr auf Tipps hören solltest. Ein Widerspruch? Ich denke nicht, denn im Kern geht es bei allen diesen 5 Tipps darum, dass du der Chef bist. Du kannst entscheiden, ob du dich von einem Tipp zum Kauf eines Produkts angesprochen fühlst. Es ist deine Wahl, ob du noch 20 weitere Tipps einholst, bevor du eine wichtige Entscheidung triffst. Du bestimmst, ob du einem Experten-Tipp Glauben schenkst oder ob du dir lieber selbst ein Bild machst und am Ende dir selbst vertraust. Du weißt bei dem Wunsch nach einem Tipp, ob du nur einen Grund suchst, die Verantwortung abzugeben oder ob du wirklich an einer anderen Meinung interessiert bist. Und du entscheidest auch darüber, ob du den Tipp der besten Freundin befolgen musst, nur damit es deine beste Freundin bleibt.

Tipps sind sinnvoll, um das eigene Meinungsbild durch andere Perspektiven anzureichern und auf neue Ideen zu kommen. Tipps helfen in Situationen oder Lebensbereichen, in denen wir uns nicht gut genug auskennen und es Experten auf Gebieten gibt, die hier mehr Wissen oder Erfahrung haben. Der Tipp für ein gutes Restaurant kann einen wundervollen Abend bedeuten. Tipps zu deiner Bewerbung vom Profi können der entscheidende Türöffner zum Traumjob sein. Können! Mir persönlich ist es wichtig, meine Tipps lediglich als Angebote aus meiner Perspektive und meiner Erfahrung zu verstehen. Denn die Bewertung eines Tipps und die Entscheidung, was du daraus machst, die sollte allein bei dir liegen – nur so ein Tipp ;-)

(Bildnachweis: 123rf.com, 12648731, bowie15)

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

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Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
  1. Hallo Bernd!

    Danke für die Tipps ;)
    Bzw. für die Impulse. Insbesondere habe ich mich bei „Tipp“ 2 angesprochen gefühlt. Als Personaler kann ich dir nur zustimmen, dass es bei Bewerbungstipps sehr auf die Brille des Betrachters ankommt. Was Personaler A gefällt, muss Personaler B noch lange nicht ansprechen. Daher habe ich so auch meine Schwierigkeiten mit der „perfekten Bewerbung“. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

    Beste Grüße und dir einen guten Start in die Woche!
    Volker

    1. Hallo Voker,

      ja, was ist schon „perfekt“ ;-) Und es ist doch auch gut, dass wir alle jeweils andere Vorstellungen davon haben. Wir werden ja heute schon zu sehr von „das macht man nicht“ und gesellschaftlichen Normen auf Uniformität getrimmt.

      Danke Dir für Deinen Kommentar und viele Grüße,
      Bernd

  2. 5 Tipps gegen Tipps? ;-) Musste schon ein wenig schmunzeln als ich Ihre Headline gelesen habe. Auch wenn sich durch Ihre Aussage die eigenen 5 Tipps selber aushebeln, heben Sie recht. Viele Menschen verlassen sich viel zu sehr auf Tipps von Halbwissenden und erwarten die besten Ergebnisse.

    1. Hallo Daniela,
      Halbwissenheit muss ja nicht einmal vorliegen. Selbst wenn jemand Top-Experte, viel belesen und super erfahren auf einem Gebiet ist, dann heißt es noch lange nicht, dass seine Tipps auch für Andere in ihrer Situation oder für ihr Leben gut sind. Dieser Perspektivwechsel soll anregen, die Entscheidung „Was bedeutet dieser Tipp für meine Situation und mein Leben?“ selbst zu treffen und nicht „blind“ zu vertrauen und damit die Verantwortung für das eigene Handeln abzugeben.
      Viele Grüße
      Bernd Slaghuis

    2. Haha, schon lustig: Man gibt Tipps damit man nicht auf Tipps hört… Genial. Ich liebe solche Paradoxen. Sehr guter Artikel. Grüße euch

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