Lampenfieber und Prüfungsangst: So machen Sie sich richtig nervös

Als mich Lars Hahn vor zwei Wochen auf die Blogparade der LVQ zu Prüfungsangst und Lampenfieber aufmerksam gemacht hat, war ich zu diesem Thema ziemlich leer im Kopf. Klar, Lampenfieber kenne ich auch, ob heute vor Vorträgen und wichtigen Präsentationen oder früher vor Prüfungen an der Uni oder wenn ich auf dem Klavier vor vielen Menschen vorspielen sollte. Lampenfieber und Prüfungsangst dürften die meisten von uns irgendwann schon einmal gespürt haben. Manchmal wirken sie mobilisierend und konzentrationsfördernd, manchmal führen sie aber auch zu unberechenbaren Blackouts. Ein schönes Thema für eine Blogparade, weil es irgendwie jeden betrifft. Doch mir fehlte bisher der Impuls für einen Beitrag hier im Blog. Bis ich diese Woche das hier erlebte:

Prüfungsangst: Kinder, ist das alles aufregend

Ich war am Dienstag zu Gast bei einer Einschulung in der Nähe von Frankfurt. Erstklässler, ihre Eltern, Geschwister und Familien versammelten sich auf dem Schulhof. Es ging los. Aus den zwei aufgestellten Lautsprechern erklang eine Frauenstimme. Die Direktorin der Schule, wie ich später erfuhr. Sie hatte sich ihre Rede auf Papier ausgedruckt und war sichtlich aufgeregt, auch wenn es schon ihr viertes Mal war, wie Sie uns verriet. Ein Hinweis aufs gute Wetter, dann die Erinnerung an ihre eigene Einschulung: »Mench, was war ich damals aufgeregt!«

Da war’s. Zum ersten Mal. Und gleich darauf schon wieder: »Was für ein besonderer Tag heute! Und ihr seid bestimmt ganz doll aufgeregt, liebe Kinder.«

Ach ja?, dachte ich mir und schaute mir die Kleinen so an, wie sie da mit den riesigen Schultüten und übergroßen Schulranzen auf ihren Turnbänken saßen und mit ihren besten Freunden und Freundinnen aus dem Kindergarten fröhlich beschäftigt waren.

Ein Minister, der offenbar in Hessen nicht ganz unbekannt ist, hatte das Wort. Er dankte 10 Personen für die Einladung, dann sprach er über Inklusion, die Partnerschaft mit einer Schule für behinderte Kinder und die neu eingerichtete Tandem-Klasse. Und dann stimmte er ebenfalls ein in den Kanon: »Ihr seid sicher schon ganz aufgeregt, was Euch ab jetzt in Eurem Leben erwartet.«

Nicht nur, dass das alles völlig an den Kindern vorbei ging und sie in keinem Maße einbezogen wurden, jetzt wurde ihnen schon von zwei offiziellen Seiten eingetrichtert, dass sie gefälligst nervös sein müssen, denn die Lehrer, der Minister und die Eltern sind es ja schließlich auch. „Na bravo, herzlich willkommen in der Erwachsenen-Welt!“, dachte ich mir als Beobachter aus dem Abseits.

Wird hier schon der Grundstein für Prüfungsangst und Lampenfieber gelegt? Ein neuer, großer, wichtiger Abschnitt im Leben beginnt. Natürlich wird in den nächsten Jahren nicht alles glatt laufen, aber ist das, was hier als Botschaft zur Einschulung vermittelt wird, so richtig?

Mein #LampenFieberTipp:

Wenn Sie das nächste Mal Lampenfieber oder Prüfungsangst verspüren, dann fragen Sie sich doch einmal, wer Ihnen gerade diese Aufregung, Nervosität und das unbedingte Sorgen machen eintrichtert. Sind Sie das selbst? Oder etwa Andere? Und wenn es Ihr Umfeld ist, dann stellen Sie sich die zweite Frage: Möchten Sie dem Glauben schenken und ist es wirklich eine gut gemeinte Warnung, vorsichtig, achtsam und aufmerksam zu sein? Oder sind es nur die eigene Nervosität und Angst, die Ihr Umfeld gerade (unbewusst) auf Sie überträgt, die jedoch für Ihre Situation völlig unberechtigt ist?

Angsthasen haben (nicht) immer Recht

Fehler sind schlecht. Sie führen in der Schule zu schlechten Noten. Mit einem miesen Abschluss ist die große Karriere gestorben. Fehler im Job sind unbedingt zu vermeiden, sonst droht die Kündigung! Fehler in der Beziehung? Ein Trennungsgrund! Ja genau, daran glauben wir und es wird uns ja auch täglich von allen Seiten bewusst gemacht.

Hoch lebe der Anspruch auf Perfektion! Ja, so ist es doch, oder? Immer noch. Und da nützt es auch nichts, wenn wir uns immer wieder selbst einreden, dass wir aus Fehlern klug werden oder dass sie sogar gut und wichtig sind, um experimentell Neues zu entdecken und den eigenen Horizont zu erweitern.

Die Angst vor Fehlern blockiert uns, sie ist der Killer jeglicher persönlicher und fachlicher Entwicklung und Innovation. Aus Angst vor finanziellen Konsequenzen harren wir in Jobs aus, die wir hassen und die uns krank machen. Aus Angst vor Liebesentzug oder sogar Ausschluss aus der Gemeinschaft tun wir alles, um bloß zu gefallen. Aus Angst vor Versagen lassen wir es lieber gleich ganz bleiben. Es lebe das Steinzeit-Denken!

Mein #LampenFieberTipp:

Was steckt hinter der Prüfungsangst? Fragen Sie sich selbst, ob diese Angst berechtigt ist. Ist es wirklich existenziell wichtig, gerade keinen Fehler zu machen oder dürfen Sie sich in dieser Situation auch Fehler erlauben – oder sind sie sogar gut? Jede Form von Angst hat eine Schutzfunktion. Warum ist es vielleicht sogar gut, dass Sie Respekt vor dieser Prüfung haben? Bewahrt Sie die Prüfungsangst vielleicht davor, sich zu überschätzen und allzu überheblich an die Sache heranzugehen?

Es ist Ihre Entscheidung, wie Sie die Prüfungsangst bewerten. Nicht der kleine (oder riesig große) Angsthase ist gemein zu Ihnen und bestimmt über Ihr Denken und Handeln, sondern Sie sind der Chef Ihres Angsthasen! Ja, ich weiß, das ist leicht gesagt, aber probieren Sie es doch das nächste Mal aus, wenn sich Ihr Angsthase mal wieder aus reiner Gewohnheit lautstark zu Wort meldet und glaubt, Ihnen das Leben schwer machen zu müssen.

Nervös machen geht am besten im Kollektiv

Ich habe im Studium manchmal vor Klausuren in Lerngruppen gearbeitet. Sie auch? Erinnern Sie sich, welche Horror-Szenarien da ausgemalt wurden? Die meiste Zeit ging es darum, zu überlegen, wo es noch Lücken gibt, welche Fragen noch nie gestellt wurden oder was von der Prüfung ausgeschlossen wurde – oder vielleicht doch nicht?

Ja, wenn Sie sich richtig nervös machen möchten, dann suchen Sie sich Leidensgenossen! Da können Sie sich herrlich gegenseitig aufschaukeln und verrückt machen.

Mein #LampenFieberTipp:

Lerngruppen können sehr nützlich sein. Sie können von dem Wissen anderer profitieren und über Themen zu sprechen kann einen enormen Lerneffekt haben. Bemerken Sie jedoch je nach Zusammensetzung der Gruppe, dass Sie der Austausch nervös macht und mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, dann ziehen Sie sich zurück. Vielleicht sind Sie selbst noch nicht so weit, um das Erlernte in der Gruppe auszutauschen. Vielleicht liegt es auch an der Gruppe selbst, dass der Fokus nicht auf dem gegenseitigen Austausch, sondern auf der Panikmache liegt. Dann suchen Sie sich Lernpartner mit Werten und Vorstellungen von gemeinsamer Vorbereitung, die Ihnen näher sind.

Ooomm! Machen Sie Ihr Lampenfieber einfach weg

Zurück zur Einschulung: Warum spricht die Direktorin nicht zu den Kindern und sagt ihnen, dass sie sich darauf freuen können, Neues zu lernen, neue Freunde zu finden, auf dem wirklich tollen Schulhof zu spielen usw.? Warum diese situative Fokussierung auf das Neue und Ungewohnte, was zunächst einmal Angst macht? Ich habe hier mal über Mut und Neugierde geschrieben, das passt dazu.

Schaue ich mir einige andere Beiträge dieser Blogparade an, finde ich sehr viele gute praktische Tipps gegen Lampenfieber, aber fast immer geht es um die Frage: Wie werde ich das los? Wie kann ich gegen die Prüfungsangst ankämpfen? #KeinLampenFieberTipps sind aus meiner Sicht keine guten Ratschläge und manchmal sogar kontraproduktiv. Denn es sind Weglaufziele, die Sie eben nicht dort hin führen, wo Sie eigentlich hin möchten. Durch den Gedanken »Ich möchte kein Lampenfieber mehr!« fokussieren Sie sich zudem noch stärker auf das störende Symptom und verstärken es so vielleicht noch.

Mein #LampenFieberTipp:

Wenn das nächste Mal Lampenfieber oder Prüfungsangst im Anmarsch ist, dann stellen Sie sich die Frage, welches Gefühl Sie stattdessen lieber hätten oder was Sie stattdessen gerne anders machen möchten. Es sind weder die rosarote Brille noch das Wunschkonzert hier gefragt, es sollte für Sie stimmig sein. Manchmal ist es gar nicht so einfach, sich diese Frage selbst zu beantworten, doch nur so sind Sie in der Lage, einem Ereignis eine veränderte Bedeutung zuzuschreiben oder Ihre Denk- und Verhaltensweise tatsächlich in eine neue Richtung zu lenken. Bei mir sind es Freude, Neugierde und Sicherheit, die mein mäßiges Lampenfieber vor Vorträgen auf ein gesundes Minimum herunterschrauben und mich gelassen die Bühne betreten lassen.

»Weg mit der Angst!« ist nur die halbe Wahrheit. Erst das Stattdessen lässt Sie mit einer anderen Aufmerksamkeit in den nächsten Vortrag, die Präsentation oder die anstehende Prüfung gehen. Und wer weiß, vielleicht macht es Ihnen dann sogar ein wenig Spaß ;-)

(Bildnachweis: 123rf.com, 32308594, Samo Trebizan)

 

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
  1. Hallo Dr. Slaghuis,

    Mir hat dieser Artikel wirklich sehr gut gefallen, obwohl ich gerne – wenn ich darf – einen wichtigen Aspekt ergänzen möchte.

    Nämlich den Punkt, dass die Prüfungsangst (sofern sie „noch im Rahmen ist“) auch als wichtiger Begleiter angesehen werden könnte (und vielleicht ja sogar sollte!?).

    Denn: Neurologische Studien haben gezeigt, dass in dem beschriebenen Zustand leichter Prüfungsangst das Gehirn in eine Art „Notfallmodus“ schaltet, um sein „Überleben“ zu sichern. Und da ist das menschliche Gehirn über die vergangenen Generationen an Menschen, die Prüfungen ausgesetzt waren, ganz schön anpassungsfähig geworden, weshalb es hier nicht nach Möglichkeiten sucht, bspw. den Prüfungssaal zu verlassen oder die Prüfung zu schmeißen (also aus der Situation herauszukommen), sondern weshalb es alle Kapazitäten abruft, damit die Prüfung bestmöglich absolviert wird. Heißt praktisch: die Konzentrationsfähigkeit steigt massiv; Gelerntes kann viel einfacher abgerufen werden; Flüchtigkeitsfehler passieren nachweislich um bis zu 80% weniger häufig etc.

    Infolgedessen versuche ich es mit Menschen, die mit Prüfungsangst zu tun haben (ich biete einen Online-Kurs an, bei dem ich nahezu täglich mit solchen Menschen in Berührung komme, aber das nur als Info – soll schließlich keine Schleichwerbung werden…), immer als Allererstes mit einem Umdenken, die Prüfungsangst (also Nervosität) als etwas Angenehmes, anstatt etwas Unangenehmes zu betrachten. Das ist natürlich sehr abstrakt und schwer zu realisieren, aber es kann ggf. eine große Hilfe sein.Lange Rede, kurzer Sinn, ich würde mich über Austausch zu diesem spannenden Thema freuen – gerne auch bei mir im Blog, wo ich vor geraumer Zeit auch mal einen Beitrag zur Prüfungsangst erstellt habe, der einerseits meine hier dargestellten Gedanken unterstreicht, der aber andererseits auch ein paar praktische Tipps aufweist.

    Herzliche Grüße
    Dennis

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