Gutes Arbeitsklima: Warum Arbeitszeit auch Lebenszeit ist

Arbeitszeit ist für die Masse der Bevölkerung ein großer Teil ihrer Lebenszeit. Auch wenn nicht jeden Tag eitel Sonnenschein im Job herrschen kann, zählen Freude, Gerechtigkeit und Kollegialität heute zu den wichtigsten Werten von Angestellten – unabhängig davon, ob sie am Tag 4 Stunden in Teilzeit arbeiten oder jede Woche mit 80 Stunden abschließen. Die Arbeitszeit ist nur eine Zahl aus der Stechuhr. Die Summe der Stunden, die wir für unseren Beruf aufwenden. Entscheidend ist aber doch, was wir in dieser Zeit tun und wie es uns dabei geht. Ein wichtiger Faktor hierfür ist das Arbeitsklima. Was macht ein gutes Arbeitsklima aus und was kann jeder Chef und auch jeder Mitarbeiter selbst in seiner Arbeitszeit dazu beitragen, den richtigen Rahmen für Motivation und gute Leistungen im Team zu schaffen? Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade #Arbeitszeit von XING. Denn neue, flexible Arbeitszeitmodelle oder die beste Teilzeit-Regelung sind keine guten Lösungen, solange in vielen Büros immer noch dicke Luft herrscht und Führung mit Donnerwetter verwechselt wird. Erst das richtige Klima macht aus Arbeitszeit auch wertvolle Lebenszeit.

Gutes Arbeitsklima: Mehr als Partyspielchen und Konflikte weg lächeln

Bei meiner Recherche zum Arbeitsklima bin ich auf Tipps vor allem für Vorgesetzte gestoßen, wie beispielsweise »Feiern Sie Geburtstage immer im Team!« oder »Loben Sie Ihre Mitarbeiter regelmäßig!« Und als ich neulich zu diesem Thema ein Interview gab, wurde ich gefragt, wie oft im Jahr Vorgesetzte mit ihrem Team etwas unternehmen sollten. Klettergarten oder gemeinsames Abendessen oder so. Ja, wäre das nicht schön, wenn es so einfach wäre?

Alle 3 Monate ein Team-Event, die wöchentlich wiederkehrende Terminerinnerung im Chef-Kalender ‚Mitarbeiter jetzt loben!‘ und das Schild am Haupteingang ‚Während der Arbeitszeit wertschätzen und respektieren wir uns!‘ Bei einigen Arbeitgebern gibt es jetzt auch Feelgood-Manager, also sozusagen Chief Harmony Officer, die als erste Amtshandlung den Masseur am Arbeitsplatz, die veganen Wochen in der Kantine sowie Kicker und Hängematten für die kreativen Schaffenspausen zwischendurch einführen. Gutes Klima dank Feelgood-Finanzspritze. Kuschelkurs und Ringelpietz mit Anfassen für die lieben Mitarbeiter.

So funktioniert eine moderne Arbeitskultur unter der Überschrift New Work für mich nicht und ich finde manches Verhalten, wenn ich einmal hinter die Unternehmensmauern spinkse, auch sehr erschreckend. Weniger die Tatsache ansich, dass Stellen in Unternehmen geschaffen werden, die sich gezielt um das Wohlbefinden und die Zufriedenheit und damit um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter kümmern (wobei: ist das nicht eigentlich die originäre Aufgabe einer jeden Führungskraft und zentral von HR?), sondern die Haltung, ein gutes Arbeitsklima ließe sich durch Einsatz von Mitteln erkaufen und durch die planmäßige Umsetzung beschlossener Maßnahmen einführen. Das ist veraltete Denke aus Wirtschaftswunder-Zeiten und ich muss gerade an ‚Die kleine Kapitalistensau‚ denken, ein sehr witziges Buch, das mir neulich in die Hände fiel.

Vieles Neue ist gut gedacht, doch die Umsetzung folgt noch alten Mustern. Denn wer seine Mitarbeiter nötigt – und viele Angestellte verstehen die Einladung von Chefs häufig noch als Zwang, an lustigen Team-Events teilzunehmen, ihnen statt Currywurst/Pommes  jetzt Tofu-Schnitzel vorsetzt, ihnen bei jedem Geburtstag gut gemeint das Partyhütchen aufsetzt und auch sonst jeglichen Anflug von Konflikt und Ärger geflissentlich weglächelt, der macht es nur noch schlimmer. Zu viel künstlicher Sonnenschein aus der Gießkanne kann die Stimmung im Büro mächtig eintrüben. Denn alle diese Maßnahmen drücken vor allem eines aus: Der Chef weiß am besten, was gut für seine Mitarbeiter ist. Eine Bevormundung, die den echten Interessen der Angestellten in den allermeisten Fällen heute nicht mehr gerecht wird.

Gutes Arbeitsklima ist erlebte Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur kann als der Charakter eines Unternehmens bezeichnet werden. Das sind keine bunten Leitlinien, die sich Mitarbeiter an die Bürowand hängen und es ist auch kein Versprechen, das alle bei Betreten des Büros täglich aufs Neue abgeben müssen. Unternehmenskultur ist gelebte und erlebbare Grundhaltung.

Das Arbeitsklima wird maßgeblich durch die Unternehmenskultur und die in diesem Rahmen stattfindende Interaktion der Menschen im System Unternehmen geprägt. Hierzu zählen auch Kunden, Lieferanten, Dienstleister oder Bewerber. Das vergessen Unternehmen gerne und sind der Ansicht, Kultur und Arbeitsklima ende an der Türschwelle.

Schreibt sich ein Arbeitgeber auf die Fahnen, für seine Mitarbeiter ein besseres Arbeitsklima zu schaffen, dann sollte also zunächst die grundsätzliche Unternehmenskultur auf den Prüfstand. Entscheidend ist, nicht nur mit schicken Worthülsen wie Wertschätzung, Offenheit oder Respekt um sich zu werfen, sondern diese konkret mit erlebbarem Verhalten zu füllen: Was bedeutet Offenheit im Unternehmen konkret? Woran können alle Mitarbeiter, ihre Angehörigen und auch Kunden oder Bewerber bemerken, dass die Kultur durch Offenheit geprägt ist? Wie zeigt sich diese Offenheit im täglichen Miteinander, etwa im Umgang mit Fehlern? Diese Unternehmenswerte mit Leben zu füllen ist für viele Organisationen sehr schwierig, doch erst dann werden aus dahergesagten Begriffen echte erlebbare Kultur sowie fühl- und sichtbares Arbeitsklima.

Klimawandel in Unternehmen

Die Kultur und das Arbeitsklima in einem Unternehmen können wie beim Wetter von heute auf morgen umschlagen – in beide Richtungen. Denken Sie nur an die jüngsten Geschehnisse bei Volkswagen. Das hat auch Auswirkungen auf das Arbeitsklima. Denn klar ist, dass sich bei VW aktuell viele Mitarbeiter Sorgen um ihren bisher vermeintlich sicheren Arbeitsplatz machen.

Auslöser für einen Klimawandel in Unternehmen und damit auch für eine Veränderung des Arbeitsklimas können unterschiedliche Ereignisse sein. Gerät das Top-Management unter Druck, wie im Fall VW, dann überträgt sich dies schnell auf die ganze Belegschaft. Aber auch geplante Veränderungen können einen Klimawandel herbeiführen: Etwa Fusionen von Unternehmen, bei denen Prozesse reorganisiert und Strukturen neu geschaffen werden. Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen, die plötzlich unter einem Dach als Kollegen gleiche Ziele verfolgen und zusammen arbeiten müssen.

Oftmals reicht auch einfach schon Wachstum aus, um das Klima in Unternehmen zu verändern. Was als Start-up und kleine Familie beginnt, kann sich schnell zur großen Organisation wandeln. Die Fluktuation steigt, formale Strukturen werden erforderlich und aus einem familiären Easy-going-Arbeitsklima wird unternehmerisch notwendige Ordnung. Beides kann in bestimmten Ausprägungen ein gutes Arbeitsklima bedeuten. Doch Mitarbeiter, die das familiäre Klima geschätzt haben, sich vielleicht aus diesem Grund für ihren Arbeitgeber entschieden haben, werden sich die Frage stellen müssen, ob Sie auch in den neuen Strukturen glücklich sind. Auf der anderen Seite bewerben sich solche Mitarbeiter neu, denen vielleicht Ordnung und Struktur wichtig ist.

Chefs sind die Wettergötter des Arbeitsklimas

Führungskräfte sind echte Vorbilder, wenn sie ihre Rolle ernst nehmen. Doch was im Guten wirkt, wirkt leider auch im Schlechten. Mies gelaunte Chefs können das Arbeitsklima mächtig verunreinigen. Was geht denn Ihnen so durch den Kopf, wenn Ihr Chef morgens mit schlechter Laune sein Büro betritt? Ich kenne Angestellte, die ihren Vorgesetzten auflauern und erstmal die Stimmung checken, bevor es an die Arbeit geht.

Jeder hat mal einen schlechten Tag. Streit zu Hause, der Stau auf dem Weg zur Arbeit oder einfach nur das Glas Wein zuviel am Vorabend auf der Party. Auch Chefs sind Menschen und dürfen schlechte Laune haben. Vielen Chefs ist jedoch nicht bewusst, dass ihre Mitarbeiter hierfür ein gutes Gespür entwickeln und nicht nur ihr Verhalten daran ausrichten, sondern sich die eigene Stimmung – gut und schlecht – auch schnell auf das ganze Team überträgt.

Hier hatte ich schon einmal über das Thema Betriebsklima in Verbindung mit Emotionen im Unternehmen geschrieben und die aus meiner Sicht hohe Bedeutung der Vorbildfunktion des Top-Managements und seiner Führungsmannschaft betont. Wer als Chef einen schlechten Tag hat, sollte dies entweder seinen Mitarbeitern erklären und so der Unsicherheit und dem Flurfunk aktiv begegnen oder aber so agieren, dass diese Emotionen hinter der eigenen Bürotür bleiben.

Zickenkrieg oder echte Freundschaft unter Kollegen? Ihre Entscheidung!

Sie werden es als Angestellter kaum glauben, aber wie und mit wem Sie Ihre Arbeitszeit so verbringen, das liegt auch in Ihrer Hand. Und es ist Ihre alleinige Entscheidung, ob Sie bei einem Zickenkrieg mitspielen, sich ganz raushalten oder sogar die Kolleginnen ins Umdenken bringen. Auch ein ‚Kollegenschwein‚ im Team ist dies nur so lange, wie er seine Bühne und das Publikum hat und den nötigen Applaus von seinen Anhängern bekommt.

Vielleicht kennen Sie das auch aus Meetings. Es gibt Menschen, die dafür bekannt sind, die Stimmung im Team zu beeinflussen. Sie stänkern aus Routine oder pinkeln absichtlich dem Kollegen ans Bein. Und natürlich gilt auch der andere Fall: Menschen, die mit ihrer positiven Grundhaltung und Ausstrahlung oft nur durch ihre Anwesenheit ein gutes Klima erzeugen. Kollegen, die jederzeit hilfsbereit sind und ein offenes Ohr haben. Echte Freundschaften im Kollegen-Kreis, die Halt geben und jede Spannung im Umfeld sich in Luft auflösen lassen.

Mit welcher Haltung Sie als Chef und Mitarbeiter ein gutes Arbeitsklima schaffen:

Arbeitsklima ist weder Zufall noch Gott gegeben. Jeder in einem Unternehmen kann und ist in der Verantwortung, etwas zu einem guten Arbeitsklima beizutragen. Auch bei diesem Thema ist es aus meiner Sicht eher die richtige individuelle Haltung als Chef und auch als Team-Mitglied, die nachhaltig und echt zu einem guten Arbeitsklima führt:

Die Haltung als Chef für ein gutes Arbeitsklima:

  • Zeigen Sie echtes Interesse an Ihren Mitarbeitern, hören Sie ihnen bewusst und aktiv zu.
  • Verstehen Sie sich als integraler Bestandteil des Teams, seien Sie aber nicht der beste Kumpel.
  • Lernen Sie die Werte, Motive und Ziele Ihrer Mitarbeiter kennen und führen Sie entsprechend.
  • Übernehmen Sie Verantwortung und etablieren Selbstverantwortung als Haltung im Team.
  • Leben Sie bewusst und konsequent vor, was Sie von Ihren Mitarbeitern erwarten.
  • Schaffen Sie Klarheit durch offene und aktive Kommunikation.
  • Geben Sie aktiv und zeitnah Feedback, wertschätzen Sie Leistung, feiern Sie Erfolge im Team.
  • Agieren Sie als Sprachrohr nach oben, setzen Sie sich für die Belange Ihrer Mitarbeiter ein.
  • Fördern Sie auch Aktivitäten außerhalb des Tagesgeschäfts – aber ohne Gruppenzwang.
  • Übertragen Sie Ihren Mitarbeitern Entscheidungsspielräume, seien Sie aber trotzdem präsent.

Die Haltung als Team-Mitglied für ein gutes Arbeitsklima:

  • Hinterfragen Sie andere Meinungen, statt sie vorschnell zu verurteilen.
  • Versuchen Sie, die Werte und Weltbilder und damit die Denkweise Ihrer Kollegen zu verstehen.
  • Machen Sie sich bewusst, welche Stärken Sie persönlich ins Team einbringen können.
  • Kommunizieren Sie bei Problemen, Ängsten oder Fehlern frühzeitig und schaffen Sie Klarheit.
  • Verzichten Sie auf Rechtfertigungen oder Schuldzuweisungen, denken Sie in Lösungen.
  • Seien Sie für Ihre Kollegen da, bieten Sie aktiv Unterstützung an, ohne aufzurechnen.
  • Verbringen Sie Freizeit oder Pausenzeiten mit Ihren Kollegen, wenn es Ihnen gut tut.
  • Gestalten Sie Ihren eigenen Arbeitsplatz so, dass Sie sich wohlfühlen.
  • Übernehmen Sie die eigene Verantwortung für Ihr Denken und Handeln.
  • Sehen Sie sich als Teil des Teams. Wir geht vor Ich.

Ist Ihre Arbeitszeit heute schon wertvolle Lebenszeit?

Wenn Sie diesen zugegeben wieder einmal sehr langen Beitrag bis hier gelesen haben, dann sind jetzt Sie an der Reihe :-) Unten in den Kommentaren oder – noch besser – morgen im Büro: Welches Arbeitsklima herrscht in Ihrem Unternehmen und wodurch oder durch wen glauben Sie, wird es vor allem geprägt? Was bedeutet das Arbeitsklima für Sie persönlich und Ihre Arbeitszeit? Was ist Ihre Meinung, was Sie selbst ab sofort zu einem besseren Arbeitsklima beitragen können – und möchten Sie das überhaupt? Werden Sie etwas an Ihrer Haltung und Ihrem Verhalten verändern? Und wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie Ihre Arbeitszeit gerne anders leben möchten, was kann ein erster Schritt in diese Richtung sein? Ich bin gespannt und freue mich auf Ihre Kommentare.

(Bildnachweis: 123rf.com, 35017206, Denis Ismagilov)

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Dr. Bernd Slaghuis

Ich arbeite als Karriereberater & Bewerbungscoach und habe mich auf Themen rund um die Karriereplanung und berufliche Neuorientierung spezialisiert. Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf sowie im Bewerbungsprozess begleitet - über alle Hierarchieebenen und Branchen hinweg - Online oder in meinem Kölner Büro. Meine Erfahrungen teile ich hier im Blog, in meiner SPIEGEL-Kolumne sowie als XING Insider und LinkedIn Top-Voice.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare
    1. Aber beachte die Zwischenüberschrift „Chefs sind die Wettergötter des Arbeitsklimas“! Es sind nicht nur die Kollegen, sondern ich habe auch persönlich die Erfahrung gemacht, das Chefs das Betriebsklima und die Arbeitsmotivation selbst am stärksten beeinflussen können. Manche erreichen das mit strengen oder cholerischen Elementen, nachhaltiger ist aber die positive Variante, wozu auch fairer Umgang mit Arbeitszeiten, angenehme praktische Büroausstattung etc geht.

  1. Mein letzter Projektleiter war für mich eine Quelle für gutes Betriebsklima, wovon ich mir eine Scheibe abschneiden möchte. Er hatte immer Zeit für Rückfragen, war bemüht, zeitnah Klarheit zu schaffen und auch wenn er gestresst war, hatte er immer freundliche Worte für seine Kollegen. Jetzt in Corona-Zeiten, wo man sich nur über Tools unterhält, war sein Abschluss-Gruß „machs gut“, auch wenn er so schnell gesprochen und dann gleich aufgelegt hat, dass man kaum wusste wie einem geschah, hat das doch sehr gut getan. Diese Verbindlichkeit will ich mir auch vermehrt zulegen.

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